Neustart in Neukölln – das Schwuz im Rollberg-Kiez

Berlin

Neustart in Neukölln

Eine Geschichte über Schrippen, sogenannte Südländer und dem Schwulenzentrum in meinem Rollberg-Kiez

Queer Future. Rosa Zukunft in Neukölln

Bürostuhl vor Graffiti: Rosa Zukunft in Neukölln?

Schon wieder: Fast keine Brötchen mehr zu haben, in der kleinen Kiez-Bäckerei auf der Morusstraße in Neukölln. Dem Chef libanesischer Herkunft ist es peinlich, dass nur noch eine einzige Schrippe im Korb liegt. Dabei komme ich gerade an Sonntagen stets zu spät. Der junge Mann türkischer Herkunft, der noch sechs Goldstückchen ergattern konnte, blickt verlegen zu mir herüber, lächelt entschuldigend, als mir der Backstuben-Betreiber das allerletzte Brötchen einpackt. “Nicht schlimm, dann gibt es heute halt Eierkuchen zum Frühstück”, merke ich an, zahle meine 15 Cent mit einer 1-Euromünze und verlasse kurz nach dem Lederjacken-Träger mit der prall gefüllten Schrippentüte den Laden im berüchtigten Rollbergviertel.

Typisch türkisch: “Darf ich ihnen bitte ein Brötchen abgeben.”

SchwuZ-Pressesprecher von der U-Bahn-Haltestelle Boddinstraße abgeholt. Foto: Robert Niedermeier

SchwuZ-Pressesprecher von der U-Bahn-Haltestelle Boddinstraße abgeholt

Draußen blickt der südländisch aussehende, sympathische Dreitagebart-Träger zurück zu mir, bleibt stehen, hält mir seinen schrippenvollen Papierbeutel hin und fragt schüchtern: “Darf ich ihnen bitte ein Brötchen von meinen abgeben?” Er lächelt erneut, etwas verschmizt, aber in seinen Augen funkelt bereits die Freude darüber, dass er etwas Nettes tun kann. Ich zögere kurz, bin überrascht und schreite endlich einen Schritt auf ihn zu: “Ehrlich, das ist aber lieb”, erwidere ich etwas geschmeichelt. Als ich dem freundlichen, um die dreizig Jahre alten Herren die 15 Cent reichen möchte, lehnt er energisch bittend ab: “Nein, bitte, bitte nehmen sie, ich schenke es ihnen.” Als ich dankend annehme, funkeln seine Augen noch ein bisschen stärker. Er strahlt übers ganze Gesicht. Wir wünschen uns gegenseitig einen schönen Sonntag und sagen gleichzeitig: “Tschüssi – bis bald.”

SchwuZ: Blick in den Mainfloor "Eiskeller", Foto: Robert Niedermeier

SchwuZ: Blick in den Mainfloor “Eiskeller”

Was ich zum Ausdruck bringen möchte: Ich fühle mich wohl in meinem “Problem-Kiez” und besonders freue ich mich darüber, dass bereits am nächsten Wochenende das Schwulenzentrum Berlin (SchwuZ) in meine unmittelbare Nachbarschaft zieht. Als Journalist besuche ich eine Woche zuvor die Baustelle auf der Rollbergstraße 26. Es sind nur wenige hundert Meter durch den Rollberg-Kiez; von der Kopfstraße laufe ich links in die Morusstraße und nachdem die Werbellinstraße überquert ist, stehe ich auch schon beinah direkt vor dem großen Rolltor. Die neue SchwuZ-Pforte.

Der "Salon" im neuen SchwuZ - am 10.11. noch eine Baustelle. Foto: Robert Niedermeier

Der “Salon” im neuen SchwuZ – am 10.11. noch eine Baustelle

Dort teilt sich mein neuer Nachbar den Eingang mit einer Event-Halle, links geht’s ins SchwuZ. Industrieller Charme, Backsteinmauerwerk, säulenartige Stahlbeton-Träger und viel Raum zum Flirten und Feiern bestimmen den ersten Eindruck. Mehr Platz als im alten SchwuZ ist vorhanden, aber durch die niedrigeren Quadratmeterpreise, zahlt das SchwuZ insgesamt nur unbeträchtlich mehr Miete als am Mehringdamm, dem alten Standort, obwohl die Gesamtflache mit 1500 Quadratmetern doppelt so groß ist. In einem Artikel für Queer.de, das meistgelesene LGBT-Portal Deutschlands, habe ich einen Bericht über meinen Besuch auf der Baustelle verfasst. Kann nicht verleugnen, dass ich meine Begeisterung beim Schreiben des Artikels kaum im Zaum halten konnte.

Gentrifizierungslücke geschlossen: Ein Kiez wird bunter und teurer

SchwuZ-Veranstaltungstechniker Ingo Spanka. Foto: Robert Niedermeier

SchwuZ-Veranstaltungstechniker Ingo Spanka

Kritischer artikulieren könnte man etwa, dass der Zuzug des SchwuZ’,  die Gentrifizierungs-Spirale beschleunigt, der Kiez mehr und mehr seinen rauen Charakter verliert. Doch das wird nicht aufzuhalten sein. Spätestens seit der Neueröffnung des ehemaligen Innenstadt-Flughafens Tempelhof als Parklandschaft Tempelhofer Freiheit, entwickelt sich der Schillerkiez, links der Hermannstraße gelegen,  zum heißbegehrten Pflaster. Wer hier wohnt, ist hip oder irritiert darüber, das dort, wo letztens noch ein Gebrauchtgeräte-Verkäufer seine Geschäfte erledigte, plötzlich ein Café mit seltsamen Namen eröffnet hat. Rechts der Karl-Marx-Straße stiegen die Mieten zeitgleich rasant an. Und nun wird die Gentrifizierungslücke geschlossen. Der Rollberg wird noch lebenswerter. Eingekreist von Parks wie der Hasenheide, die Tempelhofer Freiheit, die Lessing- und Thomashöhe, macht es jetzt bereits viele Freude hier zu leben. Es waren abermals fleißige Migranten und deren Kinder, kauzige Künstler, engagierte Aktivisten und Mitglieder der alternativen lesbisch-schwulen-trans*-Community, die als Pioniere fungierten. Sie gemeinsam haben den Boden dafür bereitet, dass ein ehemals als sozialer Brennpunkt verrufenes Quartier zum angesagten Kiez empor gestiegen ist, wo gelebte Toleranz und Solidarität das Klima bestimmen. Hoffentlich bleibt es noch so lange so schön in meinem Block.

Das neue SchwuZ, der neue Nachbar: Herzlich willkommen in Neukölln

Zur Stunde, und bis in die Sonntagnacht hinein, feiert das SchwuZ noch in Berlin-Kreuzberg den Abschied vom Standort Mehringdamm. Ich sage: Willkommen in Neukölln, liebes SchwuZ.

Erste Bilder-Galerie von der SchwuZ-Eröffnung

Selbst war ich am Wochenende leider etwas kränklich, deshalb blieb ich brav zu Hause, aber die Siegessäule war mit “SallyB” vor Ort vertreten und und hat einige Fotos aus der neuen Location mitgebracht. Andere Gäste, so wird unter anderem berichtet, mussten bis zu drei Stunden in der Warteschlange stehen, bis ihnen Einlass gewährt worden ist.


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Robert Niedermeier, Journalist (Reise, Lebensart (Food), Gesellschaft)
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