Wie asozial ist Social Travel? Urlaub auf Kosten der Großstädter

City-Trips

Forsch auf dem Vormarsch

Authentisch unterwegs auf Kosten der Großstädter: Wie asozial ist der Tourismustrend Social Travelling? Text/Fotos: Robert Niedermeier

Es klingelt: „Can you open the door, please”, krächzt eine trunken lallende Stimme durch den Lautsprecher der Klingelanlage. Wieder einmal hat ein Tourist im angesagten Berliner Schillerkiez in Neukölln keinen Schlüssel dabei. Deshalb klingelt er wahllos und stört werktags in tiefer Nacht die komplette Hausgemeinschaft auf der Weisestraße. Andrea Corre ist genervt. Für den gebürtigen Mailänder ist aus einem stark kommerzialisierten Reisetrend längst ein Ärgernis erwachsen.

Urlaubsspaß für Unsoziale?

Legal im Wohngebiet des Neuköllner Schillerkiezes

Legal im Wohngebiet

Social Travelling nennt sich die trendy Form des Städtetourismus’: Touristen checken nicht ins Hotel ein oder beziehen eine Pension, sondern verweilen im Urlaub wie die einheimischen Großstädter in scheinbar privaten Wohnungen. Besonders Individualtouristen, die ihren Citytrip unkonventionell und authentisch gestalten möchten, suchen im Internet nach relativ günstigen Ferien-Unterkünften. Doch sozial ist das nicht. Vielmehr sorgt der Tourismus-Trend für Wohnraumverknappung, denn anstatt an Bürger zu vermieten, scheffeln die Eigentümer oder Hauptmieter hohe Tageseinkünfte. Die Umwandlung in Ferienwohnungen treibt in Folge die Mieten in populären Stadtteilen nach oben. Von sozialem Verhalten indes keine Spur. „Alle paar Tage tauchen hier im Haus neue Gesichter auf“, schimpft Corre über den beim Social-Travel-Touristen : „Sie benehmen sich wie am Ballermann, grölen, knallen die Türen…“, und weil es ihnen nicht gestattet sei, in den Ferienwohnungen zu rauchen, „werden die Kippen einfach im Flur geraucht und nicht einmal ausgetreten.“ Nicht nur für Einheimische und alarmierte Mieterschutzverbände, auch für die DeHoGa (Deutscher Hotel und Gaststättenverband), ist der neue Trend mit Makel behaftet: „Es geht uns nicht darum, die starke Nachfrage nach Ferienwohnungen abzuschaffen oder zu unterbinden – wir wollen lediglich gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Anbieter von Beherbergungsleistungen“, sagt Dehoga-Mitarbeiterin Kerstin Jäger.

Like a Local – günstig wohnen wie die Einheimischen

Unbewohnt aber profitabel: Social Travel macht es möglich

Zimmer mit Ausblick in Notting Hill

Der Reisetrend Social Travel spült europaweit Geld in die Kassen der Betreiber und willigen Vermittlern von Ferienwohnungen. Auch in London ist Social Travelling ein gutes Geschäft. Etwa für das Ehepaar Barbara und Simon Pal, die in der Weltmetropole mit gerade mal einem Zimmer satten Gewinn mit London-Besuchern einheimsten: „Wir sind kürzlich wegen dem Baby in ein neues Haus gezogen“, lächelt die sympathische junge Mutter und streichelt ihrem Gatten zufrieden die Hand. „Unsere alte Wohnung vermieten wir jetzt komplett über diverse Vermittlungs-Portale ausschließlich an Touristen“, ergänzt Simon im hippen Restaurant Bumkin auf der Westbourne Park Road seine Partnerin.

Unbewohnt aber profitabel: Social Travel macht es möglich

Wie asozial ist diese Schlüsselübergabe

Kein Name an der Tür

Nicht weit entfernt verdient Nick, wie er sich auf seinem Internet-Profil beim Social Travel-Anbieter „wimdu“ nennt, gutes Geld mit seiner effizient genutzten Wohnung. „Die Wohnung gehört meiner Familie“ sagt der untersetzte Jüngling auf der ruhigen Fermoy Road nahe zum munteren Tourismusmagneten Portobello Road, öffnet die Wohnungstür und zeigt stolz die unter die Hand rege gewerblich genutzten Räumlichkeiten. Wie bei Nick finden sich am St. Charles Square 2  keine Namensschilder an der Haustür. Obwohl das viktorianische Haus im teuren Bezirk Notting Hillselten nur leer steht. Über 400 Pfund zahlen Gäste an den Besitzer: für das lange Wochenende und sicher abgewickelt über „Wimdu“. Ordinären Wohnungssuchenden bleiben die heiß begehrten Londoner Immobilien jedoch verwehrt. Schließlich bringen Touristen mehr Moneten ein.

Von Notting Hill bis Neukölln – ein Trend mit Makel auf Erfolgskurs

Sozial geht anders. Profitabler Leerstand in angesagten Großstadtvierteln

Einlass nur für Touristen

Im Schillerkiez in Neukölln machen sich indes Trend-Touristen im Café Engel mit ihren Reistaschen am Bürgersteig breit. Die jungen Leute warten aufs Ein- oder Auschecken. Die meisten ihrer Gastgeber agieren, wie in London, Barcelona oder Prag, im Graubereich. Die jungen „Social Traveller“ hingegen, verbringen auf Kosten legaler Anbieter und Anwohnern einen erlebnisreichen Billig-Urlaub. Zu allem Überfluss und zum Leidwesen vom Berlin-Resident Andrea Corre, wird die hippe Meute ihre Koffer laut polternd die Altbautreppenhäuser nahe der Tempelhofer Freiheit hoch- und ein paar Tage später wieder hinunter schleppen. Auch das stört dem gebürtigen Mailänder Corre und seinen Mitmieter, da es mehrmals täglich passiert. Nicht anders in Neukölln, Prenzlauer Berg, Friedrichshain oder Kreuzberg: Laut intensiven Recherchen des Berliner Mietergemeinschaft e.V. (BMGev) werden mindesten 12000 privat deklarierte Wohnungen als  Ferienapartments vermarktet. Die DeHoGa spricht gar von 15000 Einheiten in Berlin, die jeweils mit durchschnittlich vier Betten ausgestattet, zirka 600000 Übernachtungsmöglichkeiten insbesondere in attraktiven Kiezen innerhalb des S-Bahn-Rings bieten.

Sozial geht anders: Profitabler Leerstand in angesagten Großstadtvierteln

Ist das legal? Für den Ferienwohnung-Vermittler „Wimdu“ liegt die Verantwortung bei den Anbietern: „Wir gehen davon, dass unsere Partner ihre Steuern zahlen und bei Bedarf ein Gewerbe anmelden“, pariert Nikola Günther lakonisch, die zusammen mit über 200 weiteren Mitarbeitern beim Berliner Start up-Unternehmen „Wimdu“ ihren Lebensunterhalt verdient  Der Rest sei Aufgabe der örtlichen Politik. Letzterem stimmt die DeHoGa zu, macht gegen die Schwarzhotellerie mobil und zeigt sich auch im Interesse des Hotelgewerbes solidarisch mit Mietern wie Andrea Corre. „Wenn mehr als 12 Gästebetten in einem Haus nachweisbar sind, kann der Mieter Mietminderung geltend machen“, klärt Kerstin Jäger auf. Ferner fordert die DeHoGa, dass endlich die Berliner Bezirke reagieren und die seit 2010 geltende Betriebsverordnung umsetzen. Demnach gelten Gebäude, in dem mehr als 12 Gästebetten an Touristen angeboten werden als Beherbergungsbetrieb. Deshalb müssten diversen Auflagen wie etwa zum Brandschutz erfüllt werden. „Allein das führte aufgrund der hohen Kosten zur Eindämmung der Schwarzhotellerie“, erläutert Jäger.

Für genervte Berliner ist das Maß längst voll. Andrea Corre übers Social Travelling: „Die Mieten steigen, obwohl genug Wohnungen frei sind – sozial ist das nicht.“

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Robert Niedermeier, Journalist (Reise, Lebensart (Food), Gesellschaft)
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