Süß schmeckt der nach Lakritze duftende Süßholz-Trunk. Der weiß beschürzte Mann verkauft es in der Altstadt. Dafür schleppt der breit grinsende Schnurrbartträger einen wuchtigen Messingkessel auf seinem Rücken durch die Gassen von Tarsus. Die Stadt unweit der Kilikischen Küste, die mit antiken Sehenswürdigkeiten protzt, gilt bei Christen aller Konfessionen als Geburtsort des Apostels Paulus. Doch das offene Bekenntnis zu ihrer Religion gestaltet sich für die wenigen hier noch lebenden Gläubigen bitter.
Erstmals genehmigt die Regierung der #Türkei den Bau einer christlichen #Kirche im Land: http://t.co/nfHCynC1MM (wt)
— stern (@sternde) 3. Januar 2015
Bundespräsident Christian Wulff betete in Tarsus
Bundespräsident Christian Wulff durfte am letzen Donnerstag im Oktober 2010 in der St. Paulus-Kirche zu Tarsus beten, die offiziell kein christliches Gotteshaus sein darf. Doch noch immer bedarf jeder christlicher Gottesdienst, in dem als Museum geführten Gebäude, die Erlaubnis der kommunalen Behörden. „Das ist kompliziert“, erzählt Davut Oguzcan in der 1850 auf den Fundament eines antiken Tempels erbauten Kirche.
Der in der nahen Großstadt Mersin lebende Türke ist kein Christ, engagiert sich dennoch aus Überzeugung für die Völkerverständigung und Freiheit aller Religionen. Und er kennt einen Trick: „Unser Künstler-Verein meldet einfach eine Kulturveranstaltung an.“ Anschließend werden die hier als Museums-Dienerinnen tätigen Nonnen Giuseppina Ballo und Agnese Trabaldo zum Event eingeladen. „Die beiden betagten Damen haben vom fernen Vatikanstaat die Erlaubnis erhalten, um katholische Gottesdienste auszurichten.“ Die pragmatische Strategie, das sieht man Davut im Gespräch an, schmeckt ihm nicht. Offene Kritik am Verhalten der Behörden wagt er aber kaum: „Wir müssen uns arrangieren, um Fortschritte zu erzielen.“ Ein Fortschritt sei es bereits, dass die beiden Nonnen hier leben dürften. Davut: „Das Gehalt für ihre Dienste am Museum zahlt übrigens der Heilige Stuhl in Rom.“ Hoffung auf echte Religionsfreiheit keimte im Jahre 2009 auf. Papst Benedikt rief das Paulus-Jahr aus: Vorübergehend fanden auch ohne Deckmantel Gottesdienste satt. Doch diese Praxis war von kurzer Dauer.
Diskriminierung des Christentums ist auch aus türkischer Perspektive eine Dummheit
Diskriminierung der Christen ist auch aus türkischer Perspektive eine Dummheit
„Viele Pilgertouristen lassen sich abschrecken“, stimmt Davut zu. „Obwohl Tarsus und die gesamte Region eigentlich ein echter Tourismus-Magnet sein könnte.“ Der Paulus-Brunnen am Geburtshaus des Apostel Paulus steht noch. Unweit des schönen Basars und nur einen Katzensprung entfernt von der aufwändig renovierten Altstadt, die mit attraktiven Holzfassaden und emsigen Gastronomen beeindruckt.
Paulus, der sich laut Bibel vom Saulus zum Paulus wandelte, hat – so sind sich auch Historiker sicher – den christlichen Glauben zum Durchbruch in Kleinasien verholfen. Weiter im Südosten oberhalb der Stadt Antakya dem antiken Antiochia, liegt zudem die älteste christliche Höhlenkirche der Welt. „Ganz Kilikien ist eine Schatzgrube“, schwärmt Davut.
Die Kreuzzüge des Mittelalters brannten sich tief ins kollektive Gedächtnis
Der Besuch des Bundespräsidenten Wullf könnte die verschlossenen Kirchenpforten endlich öffnen. Auch der türkische Ministerpräsident Erdogan tritt vehement für Toleranz ein. „Aber im Osten der Türkei kann das Misstrauen gegenüber den Christen nicht per Dekret aufgelöst werden. Die Kreuzzüge des Mittelalters haben sich tief ins kollektive Gedächtnis gebrannt“, sagt Davut. Doch es besteht berechtigte Hoffnung, Davut glaubt fest daran: „Schon bald wird der Süßholztrunk-Verkäufer von Tarsus viel mehr Christen mit seinem süßen Gesöff betören.“