Rückblick: Zehn Jahre Queer.de
Als ich nicht wusste, wovon Micha Schulze eigentlich lebt
Es muss so im Spätsommer 2004 gewesen sein. Irgendein lesbisch-schwuler Empfang in Köln; Stars aus der WDR-Serie “Lindenstraße”, Grünen-Politiker Volker Beck, eine lesbische Promi-Tatort-Kommissarin und sonstige Menschen aus Politik, Kultur, ein bisschen Sport, NGOs und Medien sind vor Ort. Meine Wenigkeit ist als Reporter für das RIK-Magazin anwesend. Nach langer Unizeit, zwei Jobs als Redaktionsleiter und Chefredakteur (Smag u.a.) arbeitete ich erst seit zwei Jahren als Freelancer. Vornehmlich, wie heute auch noch, im Printbereich als Text- und Fotoautor.
Randständig durch die Neunziger: Rosa Zone im Ruhrgebiet
Auf dem besagten Empfang treffe ich also Micha Schulze und Christian Scheuß wieder. Wir hatten uns seit dem Aus der Zeitschrift Eurogay nicht mehr gesehen. Micha Schulze und Christian Scheuß verdanke ich es übrigens, dass ich Journalist geworden bin. Wir lernten uns 1994 in den Dortmunder Redaktionsräumen der ROSA ZONE kennen, ein im Ruhrgebiet verteiltes Szene-Magazin im günstigen Schwarz-Weiß-Druckformat. Die beiden stellten zuerst die ROSA ZONE auf professionelle Beine und sind später mit dem aus der Zone entwickelten bundesweiten Print-Produkt QUEER grandios gescheitert. Grandios, weil Queer die LGBT-Vielfalt hervorragend darstellte, kritisch beleuchtete und journalistisch beackerte, aber leider finanziell in ein damals skandalöses Desaster endete.
Im Kölner LGBT-Klüngel: Ein Wiedersehen mit Verwunderung
Nun, als QUEER den Bach runterging, saß ich bereits auf dem Chefsessel der Smag-Redaktion – ein bis heute erfolgreiches Städtemagazin für NRW. Zu Beginn meiner Selbständigkeit 2002 schrieb ich dann noch ein paar Mal für die von Scheuß und Schulze geleitete Eurogay-Redaktion, aber… Wir sehen uns jedenfalls auf diesem Empfang wieder. Frisch von Essen nach Köln gezogen, den Winson-Hit “Wovon lebt eigentlich Peter?” im Ohr und wohl wissend, dass es nicht einfach ist als ein auf lesbisch-schwule Themen fokussierter Journalist, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, grüße ich erfreut und rufe viel zu laut: “Sagt mal, wovon lebt ihr eigentlich gerade?”
Mittendrin: Bücherveröffentlichungen beim “Penis-Verleger”
Okay, ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon mitbekommen, dass Micha und Christian gemeinsam Bücher veröffentlichen und so. Weshalb meine Frage eher darauf abzielte, ob bei Bruno-Gmünder-Buchtiteln, die sich um den schwulen Orgasmus, schwulen Penis, Po und schwules Pech in der Homo-Liebe drehen, tatsächlich Kohle machen lässt. Jedenfalls stillen die beiden meine Neugierde und klären mich nett darüber auf, dass sie außerdem seit fast einem Jahr das multiple finanzierte Internet-Portal Queer.de betreiben. Ich frage: “Internet?”, sage: “Schön”, und denke: “Die Armen, jetzt sind sie nach all der Arbeit und ambitionierten Misserfolgen verrückt geworden.”
Hartes Biz: Wer nicht verrückt ist, lässt es besser bleiben
Klar, heute weiß ich es selbst noch besser als früher, dass man tatsächlich ein bisschen verrückt sein muss, um als Journalist zu arbeiten. Gedruckte Erzeugnisse haben es oftmals immer schwerer, verschwinden sogar vom Markt und das Internet ist weiterhin auf dem Vormarsch. Mittlerweile verdiene auch ich Teile meines Erlöses als Online-Journalist. Micha Schulze hat es früh gewagt und ist langfristig erfolgreich. Das ist gut so. Und ich möchte deshalb mal klar stellen, dass meine Frage damals wirklich nicht schnippisch gemeint war, hätte anders fragen können, aber wie gesagt: Dieser verflixte Ohrwurm…
P.S. Danke schön, dass ihr von Queer.de so mutig und fleißig seid, der LGBT-Community weltweit mit eurem exzellenten Online-Produkt ein Fach-Medium von journalistisch erster Sahne zu liefern.