In idealer Pose verharrend steht der Vollblut-Schimmel auf dem feinstaubigen Boden der Finca Fuente del Suero. Soeben hat das begehrte Pferd dreihundert Zuschauer beim Schaureiten in der Arena des 500 Jahre alten Traditionsgestüts begeistert. Nahe bei Jerez de la Frontera entscheidet nun ein Fremder über das künftige Schicksal des Pferdes. Ursprünglich von Mönchen gegründet, verdient das seit 1983 staatlich geführte Karthäuser-Gestüt noch heute Geld mit dem Verkauf der andalusischen Vollblüter. „Es soll das Geschenk für einen Freund sein“, verrät Gal aus Israel. Er ist eigens zum Kauf aus Haifa angereist und moniert verhandlungssicher die ausbaufähige Muskulatur des viereinhalb Jahre alten Karthäuser-Hengstes. Kostet ein edler Gaul weit über 18000 Euro, darf man ins Maul schauen. Jesus, ein Profireiter des Gestüts, erwidert streng: „Die Proportionen sind perfekt“, und führt den Schimmel stolzierend ein paar Meter rund.
Jerez: Sehenswerte 200000-Einwohnerstadt unweit des Atlantiks
In Jerez gibt es aber noch mehr zu bestaunen. Die Umgebung ist Heimstätte der Kampfstier-Zucht und prächtig gedeiht hier die Palomino-Traube. Bereits die Mauren haben im Winter die Früchte zum alkoholstarken Sherry-Wein vergärt – im historischen Sherrish. Im Jerez der Gegenwart gibt es noch heute mehr Bodegas als Kirchen. Weltberühmte Sherry-Marken goutieren die Touristen entweder in den Weinkellereien oder in den Altstadt-Restaurants der sehenswerten 200000-Einwohnerstadt unweit des Atlantiks. Dazu genießen sie nicht nur zur Erntezeit im Oktober bodenständige Köstlichkeiten oder feuern Flamenco-Tänzer im Gitano-Viertel „Barrio Santiago Jerez“ an. In der andalusische Region Cádiz, ist die Sherry-Stadt Jerez auch ein Zentrum der urandalusischen Kunstform aus temperamentvollem Tanz und kehligem Gesang.
Geschmorte Bäckchen und heißer Flamenco in der Taberna
Gleich hinter der üppig mit wildem Grün bewachsenen maroden Kirche, die den als „Zigeunerquartier“ bekannten Straßenzeilen ihren Namen gab, stoßen Touristen auf die Taberna Flamenca. Im Inneren erblicken sie eine kleine Bühne am Ende des hohen Raums, dessen steinerne Wände mit allerlei Werkzeug der Landarbeit und ausgedienten Gitarren ausgeschmückt sind. Am Abend isst Gal, der Pferdekäufer, geschmorte Bäckchen vom Stier, gegrilltes Landhuhn, Meeresfrüchte mit Reis und dicke Bohnen. Alle Gerichte werden in Ración-Gängen serviert. Zu jedem einzelnen wird eine weitere Sherrysorte kredenzt. Von hellherb bis dickflüssigsüßdunkel reicht die Auswahl: heller Fino, rostroter Oloroso oder süßmilder Manzanilla.
Der Ursprung des Flamenco liegt wie die des Sherrys in Andalusien
Die Bühnen-Schau beginnt. Erst leise, dann mit Wucht. Die fünf Künstler singen mit Leidenschaft. Gäste, die ganz vorne sitzen, bekommen die artistischen Anstrengungen anhand von in Strömen fließendem Schweiß hautnah zu spüren. Patron José Malene schaut zu wie seine Familienmitglieder im Tremolo trampelnd tanzen. Ebenso genau hat der braun gebrannte und ergraute Gitano-Patriarch den Tischservice im Blick „Wahnsinn“, jubelt der hervorragend bewirtete Gal hellauf begeistert: „Wie die wilden Stiere.“ Er hat Recht. Die Flamenco-Posen sind edlen Pferden und starken Stieren entliehen. Ihr Gesang den alten Weisen, welche die Feldarbeiter zum Trost sangen. Der Ursprung des Flamenco liegt, wie die Herkunft des Sherrys in Andalusien: Der Provinz, weit im Süden des Königreiches Spanien nahe Afrikas, verschmelzt die Kulturen. Die Gäste der urigen Taberna bekommen ein rasantes Schauspiel geboten, ein authentisches Bild im Kleinformat vom multikulturellen Spanien mit seinen uralten Traditionen – auf den wenigen Quadratmetern Bühnenbretter, die unter den taktvollen Hacken der Tänzer vibrieren.
Emma C. Perez Blindmann: Die stolze Sefardin auf Spurensuche
Beinah vergessen sind indes die Sefarden. Dabei haben die orientalischen Juden einen beträchtlichen Anteil an der Goldenen Ära Andalusiens. Die ersten kommen im dritten Jahrhundert, lange bevor die Moslems auf ihrem Dschihad die iberische Halbinsel erreichen. Mathematik und Chemie bringen ihre Gelehrten aus Jerusalem mit, die seit dem Exodus vor den antiken Römern fliehen. „Viele spanische Atheisten, haben sefardische Wurzeln“ erzählt Emma C. Perez Blindmann, die seit sechs Jahren, aus Argentinien kommend, in Jerez wohnt, „aber sie haben es vergessen oder sich selbst verleugnet.“ Emmas sefardischen Vorfahren väterlicherseits stammen aus Jerez und sie hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht ihre Wurzeln aufzuspüren. „Das ist meine Mizwah – gute Tat“, sagt Emma und erzählt von Stadtbordsteinen, die aus jüdischen Grabsteinen gefertigt wurden. Zeugnisse liegen auch innerhalb der mächtigen Stadtfestung verborgen. Als die Wehrburg im Zuge der christlichen Reconquista im 15. Jahrhunderts in spanisch-königliche Hände fällt, werden die Juden als Kollaborateure der Mauren verfolgt. Emma: “Dabei bedeutet das Wort Sedarden nichts anderes als Spanier.”
Der Pferde-Kauf steht: Darauf einen Sherry
Derweil eröffnet sich vom höchsten Turm des Kastells der Blick auf die fruchtbare Hügellandschaft vor den Stadttoren. Unterhalb riesiger Rotoren moderner Windkraftwerke weidet Zuchtvieh auf weiten Feldern. Woanders frönen Golfer ihrem Vergnügen. Kreisende Geier und nistende Störche prägen sich auf der Fahrt nach El Rocio ein. Und nicht allein Wallfahrer der Heiligen Jungfrau von El Rocio kehren ins Restaurant Blanca Paloma ein. Leibhaftig erlebbar vermengen sich uralte Rituale der Goten, orientalische Geheimnisse und Flamenco kultivierende Gitano-Bräuche mit katholischem Glauben. Gal streichelt weiland die Stirn des stolzen Karthäuser-Schimmels: „Gut, ich kaufe.“ Jesus blinzelt mit seinen braunen Augen in die sengende Sonne Andalusiens und lächelt endlich: „Darauf trinken wir einen Sherry.“
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