Die Sonne scheint. Mitte Mai zeigt der typische schwule Brite deshalb zum ersten Mal in diesem Frühling wieder etwas blasse Haut. Nach wochenlangem Dauerregen steht er, ein Pint Bier in der Hand, im Rudel vor seiner Lieblings-Eckkneipe, schaut Touristen aus aller Welt keck auf ihre Hintern und quatscht lässig mit Kumpels übers schöne Wetter.
Steve Erskine hätte jetzt auch Lust. Doch während vor dem Pub „Duke of Wellington“ auf der Wardour Street das Samstagsnachmittagstrinkvergnügen seinen Lauf nimmt, profiliert Steve sich als emsiger Ehrenamtler.„Ich kümmere mich um die Rekrutierung von Freiwilligen: Ohne die Hilfe der 1000 Helfer, könnten wir den World Pride 2012 nicht stemmen“, sagt der hauptberufliche IT-Manager und entschuldigt sich für das Durcheinader im brandneu bezogenen Pride-Büro auf der nahen Peter Street, inmitten von Londons größtem Gayquartier Soho.
Flyer warnen vor dem Verkehrskollaps
Seit wenigen Tagen ist die Route der World-Pride-Parade bekannt, die durch das Zentrum der Achtmillionen-Metropole ziehen wird. Steve zeigt den druckfrischen Flyer, der die Wegstrecke skizziert und die Anwohner freundlich vor dem drohenden Parkplatzkollaps am 7. Juli warnt. Um 13.00 Uhr marschieren dann 10000 Paradeteilnehmer in Fußgruppen oder auf Paraden-Wagen in der Baker Street los, biegen im Tross in die Oxford Street ein und stolzieren im Spalier der erwarteten zwei Millionen Zuschauer durch die berühmte Regent Street. Die Abschlusskundgebung findet am Trafalgar Square statt. „Das wird ein Riesenfest“, verspricht Steve, „wenn das Wetter mitspielt.“
World Pride Parade Tour 2012: Final Rally am Trafalgar Square
World Pride Parade Route 2012 auf einer größeren Karte anzeigen
Internationalen LGBT-Community im olympischen Geiste
Zwar starten drei Wochen später in London die Olympischen Sommerspiele, doch nur ein Paraden-Wagen widmet sich dem sportiven Thema. „Interne Überlegungen“, in welcher Form sich die Pride-Organisatoren um den Vorsitzenden Patrick Williams und seinen zumeist männlichen Mitstreiter etwa am „Pride House“ im Olympischen Dorf im Osten Londons beteiligen, „reifen noch“, erklärt Steve. Mit dem Pride House stellt die Stadt London als Gastgeber den Sportlern vom 26. Juli bis 12. August einen Ort der Verständigung, des Austausches und der Geschlechter-Vielfalt zur Verfügung. Quasi eine Plattform für die Vernetzung der internationalen LGBT-Community im olympischen Geiste. Schauspieler Stephen Fry oder NBA Basketball Spieler John Amaechi sind längst Feuer und Flamme für das Pride House-Konzept, welches erstmals bei den Winterspielen 2010 in Vancouver verwirklicht worden ist. Auch in London sollen die Farben des Regenbogens mit Hilfe von Kultur-Events und Ausstellungen die olympischen Ringe bereichern.
Worl-Pride London: Die größte Gay-Party aller Zeiten
Londons Pride-Macher indes haben den World Pride auf die Beine zu stellen. Das von der Organisation „Interpride“ initiierte Großereignis, obliegt erstmals der Verantwortung der Londoner Pride Association. „Es ist stressig, aber es macht Spaß, die größte Gay-Party aller Zeiten zu veranstalten“, lächelt Steve. Mit einer Reihe Konferenzen und Gala-Dinnern sowie dem kulturreichen Pride-Festival Fortnight beginnt das Spektakel bereits am 23. Juni. Ein Magnet für queere Touristen aus aller Welt ist das allemal. Zuletzt fand ein World-Pride 2008 in Jerusalem statt. Das neue Motto „Today London, tomorrow the world“ mag bei kritischen London-Touristen aus Deutschland durchaus Magenschmerzen erzeugen. Erinnert es doch stark an Hans Baumanns Nazi-Hymne „Es zittern die morschen Knochen“, doch die Briten möchten vielmehr auf die unerträgliche Lage von LGBT-Personen in den meisten Commonwealth-Staaten aufmerksam machen. Denn nach wie vor haben sie in 41 Ländern unter Anti-Homo-Gesetzen zu leiden. „Party ist nicht alles, der World Pride ist vor allem eine politische Veranstaltung“, stellt Steve beim Flanieren durch das sonnige Soho klar: „Todesstrafe fürs Schwulsein: Das dürfen wir nicht hinnehmen“, mahnt Steve und unterstreicht die Forderung nach gleichen Rechte für alle Commonwealth-Bürger: „Kommt also nach London und feiert mit – für die Menschenrechte.“