Der gelbe Bus stoppt. Die Lehrerin unterteilt die Meute aufgeregter Sechstklässler in Gruppen und scheut sich nicht einen militärischen Ton anzuschlagen. So sanftmütig schön die hügelige Landschaft von Valley Forge auch sein mag: Ordnung muss herrschen im historischen Nationalpark beim Lernen im Grünen. Disziplin, das ist auch die Devise von Friedrich Augustin von Steuben, bekannt als Baron von Steuben. „Er war der Retter der amerikanischen Freiheitsidee“, erklärt die Lehrerin mit strenger Miene die Rolle des Mannes, dem bis in die Gegenwart die New Yorker Steuben-Parade gewidmet wird.
Der schwule Baron rettete Amerika mit harter Hand
Der heute von einer wohlhabenden Mittelschicht, sowie einer Unzahl von Rehen und Füchsen bewohnte Landstrich vor den Toren Philadelphias, ist der Ort an dem die erste Armee der Vereinigten Staaten auf die Fortsetzung des Unabhängigkeitskrieges vorbereit wurde. 1778 dauert der Krieg gegen das britische Königreich bereits zwei Jahre.
Der aus Magdeburg stammende Baron von Steuben
Die erste Hauptstadt der USA wurde britisch besetzt, die 5000 Mann starke Armee, bestehend aus Bauern, befindet sich in marodem Zustand und ihr Anführer George Washington ist verzweifelt. „Der aus Magdeburg stammende Baron von Steuben reorganisiert mit preußischer Ordnung die Truppe“, schwärmt die resolute Grundschullehrerin, zeigt auf die mickrigen, aus Lehm und Holz gefertigten Hütten, die unweit des monumentalen Denkmal-Portals stehen. Sie dienten den damals von Steuben auf Sieg gepolten Kompanien als dürftige Unterkünfte. Dass der Baron aufgrund seiner homosexuellen Veranlagung und angeklagt wegen Sodomie, Europa verlassen musste, erzählt die Lehrerin nicht. Ein schwuler Soldat als Held, das passt allem Anschein nicht in ihren Lehrplan.
Carolin-Museum-Video “Friends in Liberty”, gedreht in Valley Forge:
Scenes from “Friends in Liberty”, part 2 from Jerry Taylor on Vimeo.
Deutsche Rudolf Steiner-Fans zu Besuch beim Pazifisten Wharton Eshrick
Wenige Kilometer weiter, am kleinen Flüsschen Valley Creek, haderte indes der Pazifist Wharton Eshrick zu Lebzeiten mit der militärischen Geschichte und Gegenwart seiner Heimat. Des Künstlers Holzhaus, an der Nordseite fensterlos, um die hin- und herfahrenden Armeefahrzeuge nicht sehen zu müssen, dient heute als Museum. Lauren Otero, die junge Museums-Direktorin, führt durch den urigen, malerisch am Hang platzierten Hort der modernen Kunst: „Oft kommen deutsche Fans von Rudolf Steiner zu Besuch, obwohl der künstlerische Einfluss des Anthroposophen auf Eshrick nicht sonderlich groß war“, wundert sich Lauren. Beim Rundgang animiert sie Besuchergruppen, die Möbel-Skulpturen des 1970 verstorbenen Einsiedlers zu berühren: „Das ist gut fürs Holz.“
“Ami” Andrew Wyeth verewigt seinen preußischen Freund im Gemälde
Holz zerhacken für den Brennofen bevorzugte hingegen der preußische Soldat Karl Kuerner – Tag ein, Tag aus. 1948 verewigt ihn der Amerikaner Andrew Wyeth auf einem Gemälde. In Deutschland kaum bekannt, wird Wyeth in den USA als Volksmaler verehrt. Eine tiefe Freundschaft verbindet ihn zum deutschen Ehepaar Anna und Karl Kuerner, das nach dem Ersten Weltkrieg ins wunderschöne, westlich von Valley Forge gelegene Brandywine Valley zieht. Seit Beginn des Zweiten Weltkrieges lebt und werkt der Exzentriker auf der Farm, die heute als Museum betrieben wird. Touristen sehen hier den Kuhstall, die Hügel vorm weißen Haus und nur als Öl-Gemälde des realistischen Künstlers, die schöne Nachbarin Helga – nackt. „Seine eigene Frau hat ihn selten gesehen“, plaudert Expertin Jo Lurquin am Originalschauplatz der Kunstgeschichte aus. “Die hart als Farmer arbeitenden Eheleute fesselten ihn geradezu. Sie haben seine Arbeit dadurch stark beeinflusst.”
Helga lebt heute noch im Tal von Brandywine
2009 stirbt der 92-Jährige in seiner kleinen Gemeinde Chadds Ford. Das zu seinen Ehren erbaute Brandywine River Museum am Fluss, beherbergt auch die Werke seines Vaters und Sohnes. Und natürlich das Gemälde von der deutschen Helga. Sie lebt nach wie vor im schönsten Tal von Pennsylvania. +++