Deutsch-türkische Demokraten und politisches Bewusstsein stärken

Almanya

Hayir zum Hass

In Neukölln heißt #Hayir auf deutsch #NeinZuNazis. Die binären Weltbilder von AKP- und AfD-Anhängern fügen sich zusammen im Chauvinismus und autoritärer Denke der Theo- und Nationalfaschisten. Doch Le Pen, Putin, Orban und eben Erdoğan haben keine Chance. Multikulti bleibt gescheiter...Text: Robert Niedermeier, Zitate, Fotos: Robert Niedermeier

Die OSZE-Wahlbeobachter konstatieren: Erdoğans Verfassungs-Referendum ging unfair vonstatten. Doch egal, ob gültig oder nicht, der Ausgang der postkemalistischen Volksabstimmung ist eine Niederlage für die Befürworter einer liberalen, freiheitlichen und sozialen Politik. Doch der Kampf um Europa ist noch nicht verloren. Demokratie und individuelle Menschenrechte sind die Werte, die Europäer gegen National- und Theofaschisten zu verteidigen wissen. Die Türkei gehört zu Europa, denn die Ursprünge unserer Zivilisation liegen auf türkischem Boden. Wir sind eins. “Wir müssen uns um die AKP-Anhänger bemühen”, sagt die grüne Türkei-Versteherin Claudia Roth zurecht. Es gilt, alle Bürger für die liberale weltoffene Gesellschaft in einer demokratischen EU zu begeistern. Jetzt zählt Solidarität.

#NeinZuNazis heißt auf türkisch #Hayir

Geht nicht den neurechten “Ethnopluralisten” auf dem Leim. Nicht von ungefähr stimmten viele wahlberechtigte Türken besonders in den europäischen Ländern pro Erdogan, die eine hohen Anteil an rechtspopulistischen Wählern aufweisen. Ein Indiz, dass in bestimmten Milieus die Hasspropganda neurechter Zirkel Früchte zu tragen scheint. Rassismus, Klassismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Chauvinismus in allen Ausprägungen tragen dazu bei, dass sich Nationalisten und Islamisten gegenseitig die Bälle zuspielen können. Den Schaden trägt die liberale Zivilgesellschaft. Deshalb ist es umso wichtiger für Vielfalt, Toleranz und Humanismus einzutreten. Der Demokratie zuliebe: Multikulti ist gescheiter…

Stimmen der Vernunft

Anti-Referendum-Plakat im Rollbergkiez, Berlin-Neukölln

In Neukölln heißt Hayir auf deutsch Nein zu Nazis.

Eine knappe Mehrheit durch Unterdrückung von Gegenstimmen ist kein Sieg. An alle Türkinnen und Türken, die tapfer für die Verteidigung ihrer Demokratie gekämpft haben: Wir stehen zusammen. Am Ende werden Demokratie und Freiheit siegen.” (Cem Özdemir)

Leider wenden sich überall in Europa und der Welt gerade Menschen den Populisten und Autokraten zu, auf der Suche nach einfachen Antworten. In diesem Fall hat Erdogans antideutsche Kampagne offenbar gefruchtet: Seine Behauptungen, Menschen türkischer Abstammung seien bei uns nicht willkommen und würden ausgegrenzt, haben Wirkung gezeigt. Und tatsächlich sind ja im Umgang mit unseren türkeistämmigen Mitbürgern in den vergangenen Jahrzehnten Fehler gemacht worden, die Verletzungen hinterlassen haben. Ein türkischer Nachname ist auch heute noch eine Hürde beim Zugang zu Wohnung oder Ausbildungsplatz.” (Claudia Roth)

Nur 36 Prozent der Deutschtürken sind gegen das Ermächtigungsgesetz von Erdogan”, behauptet Abdelsamad, und verknüpft diese Behauptung mit seinen üblichen islamfeindlichen Aussagen. Woher weiß er, was die 50% der Deutschtürken denken, die nicht zur Wahl gegangen sind? Außerdem waren von den 3,5 Millionen Deutschtürken 2 Millionen garnicht wahlberechtigt, weil sie keine türkischen Staatsbürger mehr sind. Für die Verfassungsänderung haben 450.000 Deutschtürken gestimmt. Das sind knapp 13 %. Schlimm genug. Aber Abdelsamad biegt sich auch hier die Wirklichkeit zu recht, damit sie zur Begründung seiner Weltsicht taugt.” (Ruprecht Polenz)

Der Ausgang des türkischen Referendums ist knapp. In jedem Fall muss der Einsatz um Demokratie und Menschenrechte in der Türkei weitergehen. Deniz Yücel und viele andere Journalistinnen und Journalisten sitzen in türkischen Gefängnissen – nur weil sie ihren Job gemacht haben. Die türkische Gesellschaft ist tief gespalten. Oppositionelle werden oft mit fadenscheinigen Begründungen verfolgt… Mir ist heute eine Botschaft besonders wichtig: Die Türkei ist nicht Erdoğan. Wir dürfen nicht zulassen, dass die innenpolitischen Spannungen in der Türkei das Verhältnis zwischen in Deutschland lebenden Deutsch-Türken und –Türkinnen belasten. Das ist unser gemeinsames Land!(Martin Schulz)

Rassismus fängt mit Pauschalisierungen an und hört mit Allgemeinplätzen auf. Auch wenn viele Linke (verständlicherweise) über das Referendumsergebnis sauer sind, sollten wir uns nicht auf das selbe Niveau wie die Rechten begeben. Faschismus zu bekämpfen, ist antinational. Um effektiv den Faschismus der in Deutschland lebenden Türkenzu bekämpfen, nützt eine Forderung wie “Geht doch nach Hause” nichts. Wir müssen uns mit denjenigen austauschen, die sich bereits seit Jahren damit auseinandersetzen: linke Türken und Kurden. Eine Verabschiedung in die Türkei ist nur eine Verschiebung des Problems und setzt die dort Lebenden weiter unter Druck. Wir sollten uns nicht auf das selbe Niveau der Rechten herabbewegen und pauschal alle Türken als Erdogan-Jünger abstempeln. Eine effektivere Aufstellung, abseits der üblichen Plattitüden, ist dringend erforderlich.” (Antifa KA, FB)

Pressestimmen der Vernunft

Auch der Erdogan-Türkei ist klar, dass das Strickmuster der neuen Verfassung das Gegenteil der von der EU vor einem Beitritt verlangten Rechtsanpassungen beschreibt. Dennoch wäre die EU gut beraten, auf eine zerrissene Türkei nicht mit einer “Tür-zu-und-lasst-uns-für-immer-in-Ruhe”-Politik zu reagieren. Die hätte sich für ein von Erdogan sicherlich ursprünglich erwartetes 80:20- oder 70:30-Ergebnis angeboten. Aber nicht für eine 50:50-Situation. Europa braucht nun eine bestimmt nicht einfache und erst Recht nicht bequeme Politik, die Erdogans Gegnern nicht die Hoffnung nimmt und ihnen die Nach-Erdogan-Perspektive einer modernen, pluralistischen Türkei erhält. Im europäischen und im türkischen Interesse.” (Rheinische Post)

Menschenrechtler haben Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe beim Referendum über ein Präsidialsystem in der Türkei beklagt. In einem Zwischenbericht des türkischen Menschenrechtsvereins IHD hieß es am Sonntag, in fünf Provinzen sei den Wahlbeobachtern des Vereins der Zutritt zu Wahllokalen verweigert worden. Zudem seien in den ost- und südosttürkischen Provinzen Agri, Erzurum und Adiyaman Wähler dazu gezwungen worden, offen abzustimmen. In Erzurum und dem osttürkischen Van hätten Soldaten und bewaffnete Dorfschützer Beobachter der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP bedroht und von ihrer Aufgabe abgehalten. In der Hauptstadt Ankara sei ein offizieller Beobachter aus dem Wahllokal gezerrt worden.(Westdeutsche Zeitung)

Drei Jahre nach dem ersten Wahlsieg der AKP, im Oktober 2005, wurden offiziell EU-Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Doch einen Monat zuvor hatte sich an anderer Stelle etwas Entscheidendes verändert: in Berlin nämlich, wo Angela Merkel die Bundestagswahl gewonnen hatte – nicht zuletzt mit der Ansage, einen EU-Beitritt der Türkei zu verhindern.” (Deniz Yücel in faz über den Aufstieg Erdogans)

Hier kommt der Nationalismus ins Spiel. Wenn Erdogan in Deutschland kritisiert wird, haben die in Deutschland lebenden Türken das Gefühl, dass die Türkei angegriffen wird… Die Türkei ist polarisiert, und die türkische Gemeinde in Deutschland ist es auch. Bei der Gruppe derjenigen, die gegen Erdogan sind, gibt es aber noch weitere Spaltungen. Die Kurden und die Anhänger der sozialdemokratischen Partei in der Türkei beispielsweise haben keinen gemeinsamen Nenner. Und genau das ist die Stärke von Erdogan: Er schafft es immer wieder, das Gegenlager zu spalten, während er sein eigenes Lager eint. Er hat von der iranischen Grenze bis nach Anatolien, von Osten bis Westen einen Block aus Anhängern geschaffen, und der ist sehr stabil. Und es ist einmalig in der Geschichte der Türkei, dass so ein Block stabil bleibt.” (Ferhad Seyder im Tagesschau-Interview)

Überlegungen aus der Union, als Reaktion auf dieses Ergebnis etwa die Erleichterungen bei der doppelten Staatsbürgerschaft wieder rückgängig zu machen, gehen in die exakt falsche Richtung.Wenn Erdoğan Gesetze in Deutschland auf den Weg bringen könnte, würde er auf diese und ähnliche Ideen kommen, um die türkische Diaspora noch enger an sich zu binden und den Keil noch tiefer zwischen deutsche Gesellschaft und türkischstämmige Minderheit zu treiben.” (Auflehnung gegen Ablehnung, Kommentar zur “Protestwahl” von Gökalp Babayiğit in SZ)



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Robert Niedermeier, Journalist (Reise, Lebensart (Food), Gesellschaft)
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One Response to Deutsch-türkische Demokraten und politisches Bewusstsein stärken

  1. Reiserobby sagt:

    >>> Während sich Präsident #Erdogan, seine islamistische #AKP und die ultranationalistischee MHP als Sieger des Verfassungsreferendums in der #Türkei feiern, ficht die türkische Opposition den erklärten Wahlsieg des Ja-Lagers an und erhebt den Vorwurf der Wahlmanipulation. Zahlreiche Wähler berichteten davon, dass ihnen Stimmzettel und Umschläge ohne den offiziellen Stempel der Wahlbhörde ausgeteilt worden seien. Im Internet kursieren Videos, die zeigen, wie offenbar nicht-offizielle Stimmzettel nachgestempelt werden. Die sozialdemokratische Partei der Türkei CHP geht davon aus, dass unerlaubt 1,5 Millionen solcher ungestempelten Wahlzettel mitgezählt wurden. “Angesichts all der erfolgen Manipulation, Erpressung und Verfälschung im Vorfeld sowie angesichts ernstzunehmender Hinweise auf Wahlbetrug dürfen Kanzlerin Merkel und Außenminister Gabriel diesen angeblichen Sieg nicht anerkennen”, fordert Sahra Wagenknecht. Sevim Dagdelen warnt davor, dass sich die Krise in der Türkei weiter zuspitzen werde: “Statt den Merkel-Erdogan-Pakt brauchen wir einen Pakt mit den Demokraten in der Türkei. Keine Waffen, kein Geld und keine Soldaten für Erdogans Diktatur!” https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/auf-der-seite-der-demokratie-oder-auf-der-seite-der-diktatur-erdogans/

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