Die Takelage ist gut in Schuss. Der Seemann wienert die Planken und blinzelt in die Sonne: „Keine Fotos, bitte!“ Der stahlblaue Himmel über Oslo leuchtet, die Möwen kreischen und der Hüne mit dem Pferdeschwanz und Ohrring lügt das Blau vom Himmel herunter: „Ich habe alle Rechte an Walt Disney verkauft.“ Am gegenüberliegenden Fjordufer schweigt die mächtige Festung Akershus zum Seemannsgarn des Kapitäns.
Die schiefen Tage „Skeive Dager“ nennt Oslo ihre Pride-Woche
Schiffsjunge Hans Steiner lacht über seinen Boss Pierre de Leon, plaudert unbekümmert über die 100-jährige Geschichte des Klippers „Legend“. Vor drei Jahren habe das Norwegische Fernsehen den schnittigen Zweimaster gechartert – für die Countdown-Party zum Eurovison-Song-Contest 2010. Schlager-Pop dringt vom Deck, kollidiert mit dem Death-Metal-Getöse einer Gruppe schwarz bekleideter Jugendliche, die hinterm Kai vor dem backsteinroten Rathaus der 600000-Einwohnerstadt herumlungern. Zwei entblößen ihre Oberkörper und schleudern dabei ihre lange Rockermähne rhythmisch im Wind. „Nicht mein Musikstil, aber hübsche Jungs“, sagt Hans. Unweit glänzt wie gigantischer Eisberg die schneeweiße Neue Oper im Fjord. Das Wahrzeichen der norwegischen Hauptstadt ist das Entre zur Altstadt, wo die Pride-Parade (damals am 1. Juli 2011) zigtausend Osloer feiern lässt. Die schiefen Tage „Skeive Dager“ nennt Oslos LSBTTIQ ihre Pride-Woche. Die Parade führt die altehrwürdige Karl-Johann-Straße hinauf, an der von Lindenbäumen flankierten und am Parlament, Nationaltheater und der Universität vorbeiführenden Allee entlang – bis zum Schlosspark.
Die Bürger Oslos ziehen im Vigeland-Stadtpark blank
Der Boss des Organisationsbüros heißt Helle Christin Nyhuus. Obwohl Norwegen seit 2009 die Ehe für Homo-Paare geöffnet hat, mahnt die resolute Blondine: “Gleichberechtigung kommt nicht von Ungefähr“, und fügt an: „Die Situation auf dem Land ist für junge Menschen sicher noch nicht optimal.“ Mädchen und Jungen litten dort unter Vorurteilen. „Dagegen gehen wir auf die Straße.” Derweil ziehen die Bürger Oslos im Vigeland-Stadtpark blank und sind weitaus attraktiver proportioniert als die berühmten Skulpturen ringsherum. Zu verbergen haben Osloer auch vor den Stadttoren nichts. Etwa an den FKK-Stränden von Kalvøya, Strandskog und Paradisbukta , wo schwule und bisexuelle Männer dem Cruising frönen.
ESC-Fans singen in die Brighton Lounge mit
Liberale Atmosphäre herrscht auch im Szenestadtteil Grünerløkka vor. Hipster-Jungs, Punk-Mädchen und Anzugsträger bevölkern bei Sonnenschein die vielen Straßencafés entlang der Thorvald Meyers-Straße sowie am Birkenlunden- oder Olaf Ryes-Platz. Der Bezirk ist im Stile der „Berliner Architektur“ errichtet worden – zur Boomzeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Heute reihen sich hier avantgardistische Schuhläden neben für Osloer Verhältnisse preiswerten Restaurants aneinander – vom schicken Inder über die Pizzeria bis zur Döner-Bude. „In den Pubs und Clubs feiern Lesben, Schwule und Heteros gemeinsam“, bezeugt Ketil Randen, Redakteur beim Online-Magazin Gaysir. „Klar gibt es noch explizite Gay-Lokale wie den`London Pub`oder das neue eröffnete `Ett Glass`“, erzählt der 38-Jährige und empfiehlt für Frauen das ‚SO’ oder das gemischte `Elsker’ (Adresse: Kristian IVs Gate 7). Besonders beliebt ist die Schwulenparty „Fire“ und wer ein ESC-Fan ist, der geht donnerstags in die `Brighton Lounge`. Hans Steiner kennt den Laden: „Ich mag die Stimmung dort, nach dem kurzen Sommer, braucht man Orte, die kuschelig sind“, grinst der Schiffsjunge und lugt zum Hünen herüber: „Ich muss jetzt weiterarbeiten, sonst wird der Kapitän sauer.“
[…] Euro-Pride Oslo: „Skeive Dager” fürs Menschenrecht […]