Fakten aus Moskau fehlen: Phantom Andrew und die WAZ-Verhaftung

Medien

Faktencheck, bitte!

Eine skurrile Geschichte, frei von Fakten, aber voller Ungereimtheiten macht das Rheinland fassungslos. Man glaubt der Geschichte vom Phantom Andrew, weil sie so gut ins Feindbild Russland passt, nicht weil sie stimmt. Weiland tobt der Mob, nicht auf der Straße, sondern angestachelt von Web-Redakteuren im SoMe. Text: Robert Niedermeier

Facebook-Kommentar zum öffentlichen Post von Enough is Enough

Facebook-Kommentar zum öffentlichen Post von Enough is Enough

In Russland läuft vieles falsch. In Duisburg läuft aber gerade etwas komplett aus dem Ruder: Eine nicht bestätigte, absurd-abstruse und von vorne bis hinten nicht stimmige Geschichte über die angebliche Festnahme des ominösen  Aktivisten Andrew am Moskauer Flughafen wird von den Duisburgern CSD-Veranstaltern  zum Anlass genommen, die Stadtspitze aufzufordern auf etwas zu reagieren, was so gar nicht stattgefunden haben kann.  Andrew wollte seine Internet-Bekanntschaft Christian U. besuchen, um gemeinsam am CSD in Duisburg teilzunehmen. Angeblich sei Andrew bereits zuvor mehrfach wegen seiner Homosexualität “im Knast” gelandet. Nun sei dem “Aktivisten Andrew” eine Regenbogenflagge zum Verhängnis geworden. Doch: Eine Regenbogenfahne im Koffer ist auch in Russland nicht verboten, niemand kommt aufgrund seiner Homosexualität gleich mehrmals in den Knast. Das Anti-Homo-Propaganda-Gesetz ist schlimm genug, wird aber lediglich mit Geldstrafen geahndet. Bislang ist der ominöse “Aktivist Andrew” lediglich ein Phantom. Kein echter russischer Aktivist oder die NGO Ovdinfo.org hat die Festnahme bestätigt, nicht einmal die Existenz der Mutter kann bewiesen werden. Die E-Mail die Andrews Mutter  “Anen” an Christian versandt haben soll, klingt bereits unglaubwürdig. Die wahre Identität des Versenders ist nicht verifiziert. Eigentlich null Nachrichtenwert: Ein Spuk im Internet.

Rote Karte für unseriöse Berichterstattung und Panikmache

Für Christian U. tut es mir leid, das er offenbar einem Schwindler aufgesessen ist, womöglich in eine infame Liebesfalle getappt ist. Eine Rote Karte haben indes die Schwusos Duisburg und auch die verantwortlichen Redakteure von der Funke/WAZ-Seite “DerWesten” verdient, die scheinbar einfach alles glauben wollen, was es nur irgendwie Schlechtes über Russland zu vermelden gibt. Seriös ist es jedenfalls nicht, aufs Recherchieren komplett zu verzichten, um eine dramatische Geschichte erzählen zu können. Faktencheck, bitte. Im ersten WAZ-“Andrew”-Beitrag der Autorin Nadine Gewehr positioniert sich auch ein Kölner Schwulen-Aktivist in heller Empörung: “Fassungslos ist auch Jörg Kalitowitsch. Der Kölner ist Mit-Initiator der Facebook-Gemeinschaft “Wir helfen Pavel” – ins Leben gerufen für einen jungen Russen, der nach dem CSD in Köln Asyl in Deutschland beantragt hatte. Kalitowitsch hat die Verhaftung von Andrew bei Facebook publik gemacht.” Andere sind vorsichtiger, halten sich wohlweislich zurück. Aufgrund der dünnen Fakten verzichtet deshalb Queer.de-Chefredakteur Norbert Blech auf eine Berichterstattung: “Die Geschichte ist derart fragwürdig, dass es unmöglich ist (zu berichten).” Dass die Funke/WAZ-Publikationen überhaupt berichten, ist für den Düsseldorfer Journalisten aufgrund der ungenügenden Quellenlage nicht nachvollziehbar.

“Die Bevölkerung nicht mit ausgedachten Geschichten erschrecken.”

Auf der von Autorin Nadine Gewehr als Quelle benannten Facebook-Seite äußerte sich auch der Vorsitzende des Quarteera-Vereins zum Thema. Über die tatsächliche Lage in Russland verfügt Artem U. einen sehr guten Überblick: “An so etwas kann ich gar nicht glauben. das klingt nicht plausibel, keine Medien in Russland, kein Aktivist weiß davon. So etwas ist noch nie passiert. Es gibt keine gesetzliche Grundlage dafür und niemand interessiert sich in Russland für Regenbogenflaggen, wenn man keine öffentliche Aktion veranstaltet. Warum versucht ihr so ein schreckliches Bild von Russland zu machen? Das Land hat Problemen, klar. Aber man soll die Bevölkerung nicht mit ausgedachten Geschichten erschrecken.”
Zustimmung erfährt der in Deutschland lebende Russe für seine mahnenden Worte nicht. Die meisten deutschen Kommentatoren drücken lieber ihr Bedauern für das Phantom “Andrew” aus, pflegen ihr Feindbild  und ergehen sich in antirussischen Tiraden. Menschenfreundlich klingt das nicht, und wirklich gut gemeint scheint die Art der schlecht umgesetzten Berichterstattung auch nicht. Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, das saubere Recherche-Arbeit verdient. Propaganda kann Putin besser.

Updates folgen gewiss… Was bislang klar ist: Eine vom Sommerloch-Sonnenschein überhitze Zeitungsente suhlt genüsslich in einer aus Russenhass zusammengebrauten Brühe voller Bullshit. Gruppen und Initiativen generieren damit Empörung, Wut und Hass, Online-Publikationen erhöhen ihre Klickraten. Mit Achtung der Menschenwürde oder Journalismus hat das nichts gemein. Ein aktuelles Beispiel ist der “Kommentar” von Nicolaus F. auf Bild.de zum Islam.  Es geht nicht um Homophobie, sondern Antisemitismus. Die steile These: Wer gegen Judenhass vorgehen möchte, muss im Islam einen Feind sehen. So ein Text erzürnt die einen und entzückt die anderen. Polemik polarisiert. So ein Text spinnt sich viral durchs Netz. Nutzerzahlen schnellen empor, Werbung wird angeklickt. Der Zweck an der Klickratenfänger-Front ist erfüllt. Das zieht durch alle möglichen Online-Publikationen, der virtuelle Boulevard nährt sich aus Aufregern. Selbst dagegen zu halten, füttert die Maschine. Sinn ergibt das gegeneinander Ausspielen von Menschengruppen keinen, vielmehr schadet es Moslems, Christen und Juden. Im Falle “Andrew” wird das Ansehen von Schwulen-Aktivisten beschädigt. Vorne mit dabei im populistischen Aufpeitschen der Emotionen ist die Berliner Initiative Enough is Enough: Ein Admin teilt die unseriös recherchierte Geschichte von “Andrew” auf der eigenen Facebook-Seite, reagiert nicht auf kritische Anmerkungen, sondern duldet menschenverachtende, den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllende “Fan-Kommentare”. Blanker Hass auf Russen wird gefördert, das Feindbild gestärkt, auf Grundlage einer mehr als nur zweifelhaften Faktenlage. Das ist beschämend.

WAZ-“Informant” rudert zurück, relativiert und prüft “Lügengeschichte”

Auf der Facebook-Seite “Wir helfen Pavel” schreibt Jörg Kalitowitsch Freitagnacht: “Ich habe hier gestern ein Posting mit der Überschrift “Moskauer Polizei nimmt weiteren Schwulenaktivisten am Flughafen fest” gepostet. Heute kamen Informationen zutage, die leider die Vermutung zulassen, dass Fragen die der Verifizierung des Vorgangs dienen sollten, gezielt nicht vollständig oder in einem falschen Kontext beantwortet wurden, so z.B. mehrmonatige Haftstrafen (hier wurde z.B. “vergessen” zu erwähnen, warum er die bekommen hat und es konnte der Anschein erweckt werden, dass dies im Zusammenhang mit dem “Antihomopropagandagesetz” stünde. Bis diese Details geklärt sind und die Authentizität des Vorgangs geprüft ist, werden wir den Beitrag “unsichtbar” stellen. Wir möchten so weiteren Spekulationen, Vermutungen, Unterstellungen oder oder oder vorbeugen und bitten euch hierfür um Verständnis. Es ist also noch unklar, ob es sich um eine Lügengeschichte handelt oder nicht. Wir halten euch auf dem Laufenden.”

Update (27.07.2014): +++ ColognePride hat den nicht seriösen Artikel geteilt, jedoch kritisch geprüft und daraufhin gelöscht. +++ Die erfolgreiche, von Alfonso P. ins Leben gerufene Initiative Enough is Enough hat die sonderbare Geschichte von Gewehr ebenfalls öffentlich auf Facebook verbreitet. Kommentare von Usern, die sich in russenfeindlichen Ergüssen ergehen (siehe Screenshot oben), werden nicht geahndet oder gelöscht. Die Facebook-Seite hat über 45.000 Fans. +++ Queer.de hat am 26.07.2014 zum fragwürdigen WAZ-Artikel im Rahmen der Berichterstattung zum CSD im russischen St. Petersburg Stellung bezogen: “Die Geschichte warf nach Rückfragen auch ansonsten genügend Zweifel für queer.de auf, um sie (zunächst) nicht mal mit dem Verweis “unbestätigt” zu bringen. An dieser Einschätzung der Redaktion hat sich bislang nichts geändert. Auch die russischen Medien haben die Meldung nicht bestätigen können; es ist gut möglich, dass sie dennoch den Weg zurück in deutsche Medien finden wird.”

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Robert Niedermeier, Journalist (Reise, Lebensart (Food), Gesellschaft)
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10 Responses to Fakten aus Moskau fehlen: Phantom Andrew und die WAZ-Verhaftung

  1. Adam sagt:

    Was eine Lächerliche Pro Russische Propaganda hier widert mich einfach nur an,und dann auch noch wissentlich zu lügen ist wirklich das aller letze hier….Und noch der versuch die Menschen verachtende Gesetz klein zu reden oder gut zu reden widerlich ..Sie ekeln mich an !!!

  2. Ina Wolf sagt:

    Unseriöse Meldungen und die Verdrehung von Tatsachen erweisen den mutigen Aktivisten vor Ort in Russland einen Bärendienst, ihnen hilft es auch nicht, die russische Bevölkerung insgesamt in ein schlechtes Licht zu stellen. Die Kritik darf allein der russischen Regierung und all den westlichen Regierungen gelten, die in puncto Menschenrechtsverletzungen zu zaghaft agieren. Ein besonders unschönes Beispiel ist die Vergabe der Olympischen Spiele oder der Fussball-WM nach Russland oder das die europäische Wirtschaft lieber Geschäfte mit Russland macht (zb. zwei hochmoderne Kanonenboote aus Frankreich oder unser lieber EX-Regierungchef, der für Gazprom arbeitet). Der falsche Bericht über die angebliche Festnahme und angebliche Gefängisaufenthalte
    sind fatal für Institutionen wie z.B. Quarteera und all die Institutionen, die sich für Verfolgte aus den diskriminierenden ehemaligen “Ostblock”-Staaten einsetzen. Ich kann beim besten Willen nichts Pro-Russisches in dem Artikel erkennen und fordere eine Auseinandersezung mit der russischen Geschichte und den NGO´s vor Ort ein, und keinerlei Überreaktionshandlungen ohne genaue Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse. Alles andere ist Gossenjounalismus, der auf Sensationsmache aus ist und darunter hat die LSBTI* Bewegung schon zu lange gelitten. MFG Ina Wolf ( Vorstand ColognePride )

  3. ernst könig sagt:

    was die politik in sachen ukraine abliefert ist ein echtes armutszeugnis:
    – man schliesst verträge ab mit putschisten
    – man fördert faschisten und einen bürgerkrieg
    – man erpresst russland mit fadenscheinlichen sanktionen, bei denen man nicht mal bemerkt dass diese NUR der USA nutzen und europa schaden.
    – noch KEIN einziger westlicher politiker, hat sich ein eigenes bild in z.b. odessa oder donezk gemacht, man vertraut blind und willenlos den amis und der “gesetzeskonformen” regierung in kiev
    – von den ganzen unbewiesenen anschuldigungen will ich gar nicht erst reden.
    was aber die presse abliefert, fällt für mich schon in den bereich straftaten. das hat absolut nichts mehr mit journalismus zu tun, dass ist hetze pur mit täglichen verstössen den das grundgesetz. wir deutschen bürger dulden das spielchen, und werden dafür bezahlen – alle!
    einseitiger, parteiischer und beeinflussender kann man nicht berichten. das ist gegen alle journalistischen regeln und ist der “schwarze kanal 2.0”
    http://nattvandare.blogspot.se/2014/07/whistleblower-enthullt-us.html
    http://www.buergerstimme.com/Design2/2014-07/krieg-in-europa-ausbruch-laengst-wahrscheinlicher-denn-je/

    • Reiserobby sagt:

      Mit Propaganda zu antworten, ist aber auch doof.

      • ernst könig sagt:

        genau da ist das problem in diesem konflikt.
        alles, aber auch alles, was nicht von den offiziellen seiten von nato,eu,cia kommt, wird als verschwörungstheorien oder zumindest russisch beeinflusst, bezeichnet.
        und man schert sich einen dreck darüber auch nur ansatzweise mal darüber nachzudenken. es fragt sich auch niemand, warum diese berichte viel logischer und “stimmiger” sind. der westliche mainstream will uns vorgaukeln, dass wir in einem tunnel leben und nichts nach links und rechts sehen können, und bloss nicht mitkriegen sollen was im hintergrund läuft oder welche “inoffiziellen” ziele die amis verfolgen. es wäre ja schliesslich das erste mal, dass aufgezwungene demokratie den richtigen weg findet (siehe naher osten). man darf einfach nicht vergessen, dass die usa schon mehrfach angebliche beweise gefälscht haben um militärisch ihre ziele zu erreichen. wenn es die freie presse nicht geben würde, hätten wir vieles nicht erfahren. jeder sollte sich selbst informieren und schauen wo seine “wahrheit” liegt. in der springerpresse tendiert die wahrheit gen null ! (siehe auch ttip)

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