Safran, Vanille und Anis: Der Duft des Orients schmeichelt, der Blick des kräftigen Kerls trifft den deutschen Touristen vor dem duftenden Gewürzgeschäft. „Ates?“, fragt der Türke, blickt mit seinen grünen Augen tief in die blauen seines Gegenübers. Lächelnd umklammert er mit beiden Händen die Faust, die das verlangte Feuerzeug hält. Die Flamme züngelt, die Spitze des Glimmstängels glüht, der Daumen streichelt kokett den blassen Handrücken des Hilfsbereiten. Der Orientale geht weiter, blickt dann noch einmal auffordernd zurück.
Heiße Blicke in Mersin
Der verdutzte Deutsche wurde auf offener Straße angemacht, während er auf seine Reisegruppe wartet. In Cankaya, einem lebhaften Stadtviertel von Mersin. Eine offene Schwulenszene gibt es in der Mittelmeermetropole im Südosten der Türkei nicht, dennoch ist Homo- und Bisexualität allgegenwärtig. Reges Treiben herrscht entlang der Küstenpromenade Adnan Menderes; vom Hilton Hotel aus, hinauf bis zum Atatürk Park verkehren Männer in der stillen Dämmerung. Auch in den Hamams werden Kontakte geknüpft. Dort, wo „heterosexuell“ aufgemachte Erotik-Shop-Reklame Männer lockt, wird ebenso den Homofreuden gefrönt. Oder sie nehmen die Fähre nach Nordzypern (Link führt zum Reiserobby-Blog Türkische Republik Nord-Zypern).
Youtube-Werbe-Video “Merhaba Mersin” vom türkischen Tourismusbüro
Offen wagt in Kilikien niemand über lesbische Frauen zu sprechen
Während Männer-Lust als Stärke gilt, wird die weibliche an der kilikischen Küste verleugnet. Doch die Starken setzen sich durch. In Tarsus, der antiken Hafenstadt, die aber heute 50 Kilometer vom Meer entfernt liegt, betreibt Serpil ihr kleines Café. Im Basar der Stadt, laut Bibel der Geburtsort von Saulus, der zum Paulus wurde, serviert die „ledige“ Mittvierzigerin ein süßwürziges Heißgetränk. „Kaynar mit vielen Nüssen“, sagt sie herzlich lächelnd mit ihrem roten Lippenstiftmund. Geschäft und Leben teilt sie mit ihrer Freundin Leyla – respektiert von der Männerdominanz. Offen aussprechen, dass die beiden Frauen Lesben sind, wagt niemand. Auch Serpil nicht. Derweil lungern vor dem Hamam Männer herum. Der Älteste, auf dem Rücken schleppt er ein kitschiges Messing-Monstrum, spricht Touristen an. Reiseleiter Davut erklärt: „Er verkauft ein Süßholzgetränk – flüssige Lakritze aus dem Kessel.” Süßholzraspeln ist auch in der mit Holzhäusern gesäumten Altstadtgasse angesagt. Küsschen hier, ein sanftes Streicheln dort, türkische Männer fassen sich gerne an. „Schwul? Nein!“, wehrt Davut ab, führt in den Innenhof des Biergartens der Özer-Zwillinge. Als ein Freund der Brüder die deutsche Reisegruppe erspäht, löst er die Umarmung seines Kumpels, lächelt verlegen und preist kaltes Bier an. Erneut treffen sich intensive Männerblicke.
Männerliebe zeigt sich in der Türkei dezent
Die Reise entlang der touristisch bislang wenig bekannten Küste Kilikiens führt weiter Richtung Antakya. Bereits im antiken Antiochia wurde die oben am Stadtberg versteckte St.-Petrus-Grotte als Sakralstätte christlicher Sekten genutzt. Unten im Flusstal des Orontes, in der maroden Medina, betreibt der Moslem Selçuk sein preisgekröntes Projekt „Soterya“ – Erneuerung. Es ist ein über 100 Jahre altes, frisch herausgeputztes Haus. Der 34-Jährige wohnt hier und eröffnete Läden im Innenhof: Orangenbäume spenden Schatten und Orient-Kissen bieten sich an, dort heißen Çay mit viel Zucker zu schlürfen. Sympathisch, sexy und erfolgreich: Selçuk ist eine gute Partie, aber unverheiratet. Ungewöhnlich für die Region, doch er erlaubt es sich und sendet Männern subtil erotische Signale. In Harbiye, Antakyas Naherholungsgebiet, sitzt er mit Freunden auf einer großen Terrasse über der bewaldeten Schlucht. Grillhähnchen, riesige Fladenbrote, Joghurtsoßen, Salatplatten und Süßes aus Honig, Pistazien und feinen Nudeln werden serviert. Wie weiße Zöpfe rauschen die Wasserfälle von Daphne den überwucherten Steilhang hinunter. Unweit turtelt gefiedertes Vieh und Selçuk säuselt, hellenische Mythen zitierend: „Der Lorbeer wurde an diesem Ort zum Siegerkranz.“ Am Südausläufer des mächtigen Taurusgebirges, gedeihen auch Eukalyptus- und Eichenbäume prächtig, doch Männerliebe zeigt sich dezent.
YouTube: Türkische Männer beim Planschen und Posen in Narlikuyu
„Ohne bittere Kerne, gäbe es auch den süßen Apfel nicht.“
Auch für Heterosexuelle gilt: „Öffentliche Zurschaustellung von Lust gehört sich nicht“, bestätigt Erdal, den der Deutsche auf den blauen Seiten von Gayromeo kennen lernt. Sie treffen sich in der Bucht von Narlikuyu, westlich von Mersin, südlich der Ruinen von Elaiussa-Sebaste und nahe dem Badeort Kizkalesi. Der Garten Eden, so der deutsche Name der Bucht, speist sich mit dem Süßwasser eines unterirdischen Flusses, der auch „Cennet ve Cehennem“ – Himmel und Hölle – unterspült. „Das sind Kosenamen für die Korykischen Grotten, die sind nicht weit weg von hier“, erklärt Erdal. Ob Kilikien die Hölle für Schwule sei, beantwortet der Rechtsanwalt mit einem Schweigen. In der azurblau glitzernden Bucht treibt das süße Fluss- oberhalb des salzigen Meerwassers, Enten paddeln, ein Fischer richtet sein Ruderboot her und der freundliche Kellner kredenzt frischen, gegrillten Rotbarsch. Erdals Blick schweift ins schöne Panorama: „Narlikuyu heißt soviel wie Granatapfelbrunnen, der Apfel aus dem Garten Eden”, sagt der Schwule: „Ohne bittere Kerne, gäbe es auch den süßen Apfel nicht.“
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