Stille satt im schönen Park
Projekt: “Unser Görli” motzt gegen bunte Vielfalt
Unser-Görli-Deutschisten stehen kurz vor dem Endsieg
Das Projekt “Unser Görli” hat ein Leitbild vorgelegt, wie sich die Bürger künftig einen “respektablen” Görlitzer Park vorzustellen haben. Um ihre 08/15-Heilewelt-Inszenierung Gehör zu verschaffen, zeichnen die Verfasser ein düsteres Bild von der Realität, verzerren die Tatsachen und diskreditieren den stets viel besuchten und bei Touristen aus aller Welt populären Innenstadtpark als Störfaktor. Ohne ihr Zutun, das betonen die Initiatoren um Projektleiter Andreas Teuchert inständig, stelle der Görlitzer Park in seiner heutigen Form ein Unsicherheitsfaktor dar, eine No-Go-Area für anständige, ökologisch bewusste Eltern und ihre Kinder. Bislang, so das Horror-Szenario, streunten zwischen Spritzen, verkohlten Speiseresten und allerlei Krankheitserregern, einige Halbwüchsige umher, um die sich niemand “zu kümmern” scheine, die einsam und verwahrlost inmitten von Unrat, Hundekot, Drogenopfern, Alkoholikern und pissenden Party-Punks ihr trauriges Dasein fristen müssen. Update: NPD springt der Initiative Unser Görli ideologisch zur Seite.
Asoziale Annektierung: Der Park ist jetzt “Unser Görli…”
Weil sich das, folgt man etwa den hysterischen Online-Kommentaren bei Berliner Tageszeitungen, unbedingt ändern müsse, ein Schandfleck verschwinden und das Gute endlich zu triumphieren habe, erklären Teuchert und Gehilfen den Kreuzberger Park zu ihrem eigenen Terrain, und – nach erfolgreicher Annexion – die volle Verantwortung übernehmen zu wollen. Vorab werden alle zum Mitmachen eingeladen, die ebenfalls Hundetanzplätze statt Open air-Dancefloors, Thai Chi-Areale statt Spontankonzerte und mehr Blümchenbeete statt freier Bürgernutzung wünschen. Alle anderen Menschen gelten als suspekte Störelemente, die dem angestrebten Kinderhort-Reich im Wege stehen. Unterstützt vom grünen Bezirksbügermeister stellen sie deshalb via Görli-Forum klar: Der Görlitzer Park, das ist “Unser Görli…”. Die, die das Unser anführen, meinen jedoch nur sich selbst und ihre eigene Klientel. Damit der Görlitzer Park schon bald als Vorgarten ihrer eigennützigen Großstadtfantasien erblüht, treiben sie unter dem Banner der Sonnenblume Ausgrenzung ohne Maß voran und schüren Ängste ohne Rücksicht auf Verluste.
Saubermänner an der Front mit Sonnenblumen
Ich weile sehr oft selbst im Görlitzer Park, deshalb ist es auch mein Park und ich mag ihn so schön wie er ist: Bunt, urban, lebendig und inspirierend. Immer mehr Touristen kommen schließlich eigens zum Görli, gerade weil er so erfrischend anders ist. Bestimmt erwarten sie keinen absolut kleinkindergerechten Hort der Ordentlichkeit, Sauberkeit und Sittsamkeit, wo es zugeht wie in einem Outdoor-Freizeitzentrum in Singapur. Die Pläne der gefährlich langweiligen Initiative “Unser Görli…” indes, die sich in der B.Z. als eine Art Saubermänner-Front feiern ließ, machen auf mich den Eindruck als wollten deren Hintermänner, die übrigens Zuschüsse aus Steuergeldern kassieren, lieber in einer unfreien Gesellschaft leben, nur damit sich ihr neukleinbürgerlich-spießiges Wertesystem zum wahren Leitbild über all dem Schmutz, Lärm und Chaos erheben möge. Ihre Unterstützer beschweren sich derweil über Müllberge, Urinpfützen, jammern über aufdringliche Drogenhändler und übertreiben dabei maßlos: Der Park stinke zum Himmel, würde von kriminellen Horden malträtiert, von Rauschgift-Händlern terrorisiert und rücksichtslosen hedonistischen Techno-Gangs als rechtsfreier Raum für ausschweifendes Feiern missbraucht. Ein Henkel spielt sich derweil als Verbündeter der Unser-Görli-Salafisten auf, die “Besorgten Eltern” fordern jetzt bewaffneten Geleitschutz für ihre Kinder ein. Das ist hysterisch.
Sicherheit, Sauberkeit und Spieloasen
Doch das stimmt einfach nicht, es werden nicht alle Parkbesucher wahlos von “Dealern” angesprochen. Das und vieles andere, was die “Unser Görli”-Söldner lancieren, ist infam gelogen. Tatsächlich muss beispielsweise aktiv der Blickkontakt gesucht werden, um Interesse am Erwerb von THC-haltigen Kräutern zu bekunden. Und es stinkt nicht im Park – weder nach Urin, noch Hundekot oder üblen Grill-Gerüchen. Als Parkbesucher muss man sich schon direkt in eine Qualmwolke neben einem Grill stellen, um sich belästigt zu fühlen.
Sehnsucht nach Stille und Ruhe mitten in der Stadt
“Ein Park für alle”, das sei ihr Wunsch, geben die “Unser Görli”-Initiatoren vor, ein Park in dem sich ihre eigenen Kinder mit “wasserlöslichen Graffiti” (sic!) künstlerisch betätigen können. Ernstzunehmende Streetart, kreative Subkultur und Sommer-Spaß für alle? Fehlanzeige! Im Prinzip fordern die “Unser Görli”-Macher nämlich die Alleinhoheit, einen Park, wo jenseits von Sauberkeit, Sicherheit und Spieloasen nichts bleibt außer monokulturelle Ödnis im niedlichen Ponyhof-Design. Möglichst menschenleer, und am besten sollten nur solche Personen sich wohl fühlen im Görlitzer Park, die die gleichen Interessen verfolgen wie die Projektmacher selbst.
“Unser Görli”-Streichelzoo-Romantik verschreckt Nachbarn
Um ihren egoistischen Wunsch nach Stille und Ruhe mitten in der Stadt durchzudrücken, schrecken die als kinder- und ökofreundlich auftretenden Sprecher und Claqueure auch vor reaktionärer Propaganda nicht zurück. Nachdem die Öko-Eltern mit ihrer in Xenophobie getränkten Rührigkeit ihre Nachbarn mit Migrationshintergrund verschreckt haben, erdreisten sie sich auch noch, darüber zu lamentieren, dass diese Gruppe sich nicht an ihrem scheußlichen Projekt beteiligen mag. Schaut her, die wollen keine Verantwortung übernehmen, das ist die eigentliche Botschaft der “Unser Görli”-Kampagne, die als Gutmenschentum getarnt, jene Eltern als verantwortungslos denunziert, die ihre Sprösslinge auch mal unbeaufsichtigt im Park spielen lassen möchten. Dass es abseits der vollüberwachten “Unser Görli”-Streichelzoo-Romantik gar bessere Wege der Kindesförderung gibt, die auf Liebe, Respekt und dem Miteinander baut, anstatt straffer Freizeit-Programmatik zu folgen, steht natürlich nicht zur Debatte. Suspekt sind Menschen, weil sie ohne Kinder ihre Freizeit verbringen. Doch nicht alle Menschen haben Kinder, und es gibt zweifelsfrei Eltern, die akzeptieren, dass sich das Freizeitverhalten von Eltern zwangsläufig von dem der Erwachsenen unterscheidet, die keine eigenen Kinder haben.
Bräunlich schimmert es vor grünem Grund
Und das Schlimmste ist, in ihrer Selbstgefälligkeit merken Teuchert und seine Mitstreiter nicht einmal, wie sie bräunlich schimmern vor grünem Grund, wenn sie im Sinne von Thilo Sarrazin-Fans salbadern. Stattdessen distanziert sich Teuchert vom Kern der eigenen Anklage, als die Boulevardzeitung B.Z. die plumpen “Unser Görli”-Parolen ungeschminkt auf den Punkt bringt. Auf Facebook ließ ich mich über so viel Scheinheiligkeit erschrocken zu der ironisch überspitzten Wortschöpfung “Öko-Salafisten” hinreißen, um ein unangebrachtes Ökofaschisten zu vermeiden. Mit Faschisten, das hoffe ich, machen die Initiatoren sich nicht gemein. Dennoch bin ich empört über die Arroganz und Ignoranz, die das Projekt vor sich her trägt und damit der gesamten Stadt Berlin Schaden zufügt. Fühle mich deshalb auch als Reisejournalist dazu veranlasst, diese kleine Polemik in meinem Blog zu verfassen. Denn – mit Verlaub – ich hab’ keinen Bock auf Monokultur und Kurpark-Atmosphäre in meinem schönen multikulturellen und wunderbar urbanen Görli.
Wutbürger im Freundlichkeit vorgaukelndem Kita-Gewand
Open-air-Partygängern, Trommlern, Grillern, Graffiti-Künstlern, Sportlern, Spaziergängern und spielenden Kindern, denen gehört der Park doch längst. Warum also sollten sich die vielen vergnügten Parkbesucher von Wutbürgern, die im Freundlichkeit vorgaukelndem Kita-Gewand daherkommen, vergraulen lassen? Das darf nicht passieren. Der Görli gehört in seiner jetzigen Form zur Berliner Vielfalt an Freizeitmöglichkeiten dazu. Das Café Edelweiß mit seiner großen Terrasse und dem benachbarten Schwarzlicht-Minigolf-Indoor-Bahn ist ein Besuchermagnet, der Kinderbauernhof ein Erfolg, tolle Spielplätze abseits des Trubels sind vorhanden, Fußball und weitere Sportplätze werden seit Jahren begeistert genutzt.
Das Stänkern des (Neo)-Spießers
Gegen Partyleute, Streetartisten, Obdachlose, jugendliche Touristen und Wikingerschach spielende Kiffer zu stänkern, tut einfach nicht Not. Natürlich ist es an manchen Stellen auch mal laut im Park. Wer es eher beschaulich möchte, geht halt in den nahen Treptower Park spazieren. Berlin bietet bereits unterschiedliche Facetten, ihre Bürger sind frei und sollten es auch bleiben dürfen. Gleichmacherei ist nicht der Stoff aus dem sich der Reiz einer bunten und attraktiven Stadt formt. Deshalb wünsche ich dem faktisch asozial und tourismusfeindlich agierenden Projekt sehr viel Widerstand. Denn wer keinen Lärm und etwas chaotisch verspielten Charme aushalten mag, hat in meinem Görli nichts verloren.
P.S. Ein Leser beschimpft mich aktuell auf Facebook als dumm, dogmatisch, unintelligent, hohl und unwissend. Als Untermauerung führt er an, dass ich “keine Ahnung” hätte, schließlich führten die Zustände im Görlitzer Park dazu, dass es 2011 zwei Todesopfer zu beklagen gab. Der Herr, der das behauptet, wohne direkt am Park, er wisse also ganz genau, wovon er spreche. Falls er das wirklich tut, dann lügt er oder verdreht in typischer Öko-Salafisten-Manier die Tatsachen. Fakt ist: Kein einziger Parkbesucher wurde 2011 im Görli ermordet. Die Lügen-Propaganda einiger weniger radikaler Anwohner, hat nur ein Ziel. Sie wollen mitten in der Millionen-Metropole Berlin beschauliche Ruhe genießen und keine Partystimmung oder “farbige Drogen-Dealer” erdulden müssen. Dafür schrecken sie auch vor Hetze und Verleumdung nicht zurück. Tatsache ist, die Leiche eines Opfers wurde im Görli versteckt, ein Mordopfer hielt sich vor ihrer Ermordung zufällig im Park auf. Zu den laut beklagten “Zuständen” im Park, haben beide Taten jedoch keinen Bezug.
P.P.S. Wie süß: Kinder müssen bald Müll im Görli einsammeln, erinnert mich an Indien! Doch überspitzt formuliert, missbrauchen die Unser-Görli-Öko-Salafisten ihre Kinder als menschliche Schutzschilde.
Unser-Görli-Ideen
An einem Sonntag im schönen Görli!
Sicherheit und Ruhe ist das Hauptthema des Görli-Forums am 12. Juni 2012 im Kinderbauernhof des Görlitzer Parks.
Görli-Forum-Infos
es gibt so viele parks die nach den vorstellungen der görli salafisten sind in der ganzen stadt!
ich gehe doch auch nicht in eine oper und verlange das dort elektro gespielt wird oder das im tresor schlager gespielt werden?
immer diese kleingeister
Apropos Kleingeister: https://www.facebook.com/klaus.lederer.121/posts/504040846337886?comment_id=3589638&offset=0&total_comments=37¬if_t=share_reply
Henkel als Verbündeter der Unser-Görli-Salafisten, die jetzt bewaffneten Geleitschutz für ihre Kinder einfordern http://www.taz.de/Drogen/!120448/
Wer sich nicht in die Planungen der Initiative einbringt, dessen Vorstellungen von einem Görlitzer Park bleiben unberücksichtigt.
Meiner Ansicht nach sind es aber gerade die spontanen Momente, die sich eben nicht planen lassen, die den Park so liebenswert und attraktiv machen.
Nein, es braucht der selbsternannte Regierung “Unser Görli” (wie egoistisch das “Unser” im Name bereits klingt) nicht, es braucht Freiräume für die Entfaltung der Besucher aus Nah und Fern.
Marge Simpson schreibt sich „Marge“. Kommt von Marjorie.
Au weia, danke für die freundliche Korrektur, ist mir jetzt ein bisschen peinlich.