Mit Herpes gegen Homophobie?
Unterlassene Hilfeleistung mit der Kraft des Regenbogens
(“Warum können “wir Schwule” nicht einfach mal ganz normal Steine werfen, Autos anzünden und den Kaisers plündern?”) Dann küsst mal brav gegen den drohenden Faschismus in Russland und anderswo an, vertraut dabei in voller Inbrunst auf die “Kraft des Regenbogens“. Wird damit alles gut? Nein, diese hohle Symbolik verpufft wie ein warmer Furz. Bezweifele sehr stark, ob diese politikfreie Form des Protests die Gesellschaft verändern kann. Doch das wäre nötig, denn Homophobie grassiert nicht im luftleeren Raum, sondern gedeiht dort, wo soziale Verwerfungen, Fremdenhass, Rassismus und Sexismus das Umfeld prägen. Und das ist nicht nur in Russland der Fall, sondern auch hier, mitten in Deutschland. Doch anstatt die Verhältnisse vor Ort anzuprangern, folgen die Demo-Macher und eifrigen Supporter lieber den Mustern ihrer Unterdrücker und salbadern schwadronierend von einem Kriegszustand und verzerren die Realität. Über die zweifelsfrei traurige Realität in Russland berichtet derweil ein offen schwuler Sportler und Lehrer, er erzählt über Erfolge und Rückschläge: Mit dem verzerrten Horror-Szenario, das konservative deutsche Pseudo-Aktivisten wie Johannes Kram (Schöneberger Nollendorfblog) oder Alfonso Pantisano (Enough_is_enough) für ihre Anti-Russland-Kampagnen zeichnen, hat der Alltag wenig gemein. Die Situation ist bereits ohne Falschmeldungen und maßlosen Übertreibungen schlimm genug: Es ist nicht legitim, anhand von fingierten Schreckensmeldungen der Verdrehung von Tatsachen und plumper Stimmungsmache, Pseudo-Politik und Propaganda zu betreiben. Die Stimmung mit antirussischen Ressentiments aufzuheizen, erzeugt bloß lauwarme Luft. Konstruktiv ist die neo-konservative Protestform bislang nicht. Erfolge werden lediglich in Besucherzahlen gemessen, nicht an Ergebnissen. Die betroffenen Menschen in Russland sind fern: Ihre Sorgen werden als Staffage der eigenen Eitelkeit missbraucht, das Probleme jedoch nicht behoben, während man der Diplomatie fahrlässig den Boden entzieht. Trotzige Reaktionen auf die Attacken aus dem Ausland folgen bereits, noch schärfere Gesetze stehen in Russland zur Debatte.
Narretei für den Mainstream: Konservatismus im Regenbogenbrei
Diese Global Kiss-in– oder auch Regenbogenfahnen-Schwenken-Aktionen von Enough is Enough erinnern mich zunehmend an diese scheinheiligen Lichterketten gegen Rassismus der Neunziger Jahre als gleichzeitig das Asylrecht faktisch abgeschafft worden ist. Sie beruhigen lediglich das Gewissen des Spießbürgers, der sich Montags der Moral entledigt und selbst zum Schreibtischtäter wird. Wie wäre es denn mal mit klaren Forderungen, etwa nach der konsequente Anerkennung von LGBT-sein als Asylgrund? Nein, davon lässt man schön die Finger weg, um bloß niemanden zu verschrecken. Schließlich soll selbst vom hinterletzten Erzkonservativen Mitleid erbettelt werden. Okay, solche Aktionen können den Mainstream auf die Probleme aufmerksam machen; ein gutes Argument. Aber dann bin ich wohl einfach nicht die richtige Zielgruppe, mir persönlich sind die “Probleme” in Deutschland nämlich spätestens seit meinem Coming-Out vertraut. Übrigens: Die Situation in Russland auf Homophobie zu reduzieren, kommt indes unterlassener Hilfeleistung gleich, in Anbetracht der Verfolgung von ethnischen Minderheiten, der Einschränkung der Pressefreiheit, der Denunzierung von Kunst als “entartet” oder der Militarisierung der Jugend. Wo wir uns schon wieder an die eigene Nase fassen müssen; einfach mal nachlesen, wie viele Moneten die Bundesregierung locker macht, um Kriegspropaganda an deutschen Schulen zu finanzieren.
Küssen und Kuscheln gegen Putin, Kuschen im eigenen Land
Sorry, ich nehme keine Politik innerhalb der Kuschel-Protest-Szene wahr, lediglich eine weitere Entpolitisierung der (Lesben- und) Schwulenszene: Den erhobenen Zeigefinger Richtung Ausland zu erheben, das ist kein politisches Gestalten. Fazit: Wer etwas gegen Homofeindlichkeit tun möchte, darf Sexismus, Rassismus und soziale Ausgrenzung nicht verschweigen, auch wenn man damit den “Spießer” abschreckt. Es ist schlicht perfide, gegen ein anderes Land zu agieren, ohne deutlich und laut darauf hinzuweisen, welche Defizite im eigenen vorhanden sind. Noch etwas zu den Olympia-Boykott-Aufrufen: Auch in China fanden Olympische Spiele statt, die Spiele stellen also keine erzieherische Maßnahme dar, sondern dienen der Völkerverständigung über Grenzen und kulturelle sowie politische Barrieren hinweg. Mit leeren Worthülsen gegen Konzern-Rhetorik anzukämpfen, ist wirklich hohl, um nicht zu sagen: Dumm! Danke schön.
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