Im “Harlem” sind alle Plätze besetzt, Cocktailsessel sorgen für den bequemen Sitz, doch die meisten müssen stehen. An der hohen Decke hängen Kronleuchter, die Stimmung ist ausgelassen und der Altersdurchschnitt liegt bei 25 Jahren. Während die Frauen, die waghalsig hohes Schuhwerk tragen, viel Bein zeigen, geben sich die Männer betont lässig. Wenn einer zur Jeans ein Sakko trägt, dann ist es mit verwegenen Stickereien im Tattoo-Stil aufgepeppt. Shorts, T-Shirts mit vermeintlich witzigen Sprüchen oder andere touristentypische modische Fehltritte? Fehlanzeige, das Harlem ist ein Unterhaltungs-Tempel mit Niveau, inmitten des aufstrebenden Stadtteils Ciudad Jardin.
Es schwitzt und schreit die Avantgarde des Flamencos
Donnerstags treten hier im küstennahen Norden der Inselhauptstadt Flamenco-Künstler auf. Ihre Darbietungen ähneln mitnichten den Folklore-Shows, die in den Dreisternehotels, der nicht weit entfernten Platja de Palma und Es Arenal beworben werden. Im Harlem schwitzt und schreit die Avantgarde eines modernen, zeitgenössischen Flamencos – heftig und mit echter Inbrunst – feucht und lauthals. An den anderen Tagen stehen Indie-Rockbands auf der professionell ausgeleuchteten Bühne, freitags bringt kritisches Kabarett die Jugend der spanischen Baleareninsel zum Lachen.
Surfer und Stöckel-Lady: Hauptfiguren der lässig-luxuriösen Szenerie
Hochbetrieb, trotz Wirtschaftskrise, herrscht auch in den modernen Restaurants entlang der neuen Trendmeile Calle de Trafalger. Hell erleuchtet strahlt das Sushi-Restaurant “Wasabi Blue” mit seiner großen Glasfront, ein Stückchen weiter links ums Eck protzt das mit italienischer Küche beeindruckende “Almare” mit direkten Meerblick von der Terrasse aus. Alle drei Lokale sind mit ihrem unaufdringlich luxuriösen Look die Aushängeschilder des Viertels im Imagewandel. Die “Gartenstadt” blüht auf. Frisch renovierte Fischerhäuser an der Promenade bilden die Kulisse. Ein langhaariger Surfertyp öffnet derweil einer Blondine die Beifahrertür seines Sportwagens und hilft ihr auf die waghalsig hohen Stöckelschuh. Beide wirken als seien sie eigens herbestellt worden – als Hauptfiguren der lässig-luxuriösen Szenerie. Doch nicht allein entlang der schneeweißen Kaimauer, welche die Strandpromenade säumt, präsentiert sich die Hauptstadt Mallorcas als hip im neuen Kleid.
Botellóns sind inklusive: “Es wird immer schicker und teurer”
Später passieren die beiden Nachtschwärmer zur rechten das neue stählerne Kongresszentrum und linksseitig das seit Jahren aufstrebende Viertel Portixol. Dort fand jene Entwicklung bereits statt, die Ciudad Jardin aktuell widerfährt. “Es wird immer schicker und teurer”, sagt der langhaarige Sportwagenfahrer, der an der bunt beleuchtenden Kathedrale vorbei fährt. Seit mehr als einem Jahr ist auch das Viertel Santa Catalina südlich des berühmten Wahrzeichens vom ärmlichen Stadtbezirk zur Partymeile erkoren worden. Quasi von Amts wegen wurde die von immer mehr Bars und Restaurants flankierte Calle de Fábrica für den Autoverkehr gesperrt. Scharen von Amüsierwilligen flanieren seitdem ungestört den flach bebauten, von bunten Reklameschildern erleuchteten Ausgehboulevard rauf und runter. Botellóns sind inklusive, wobei es fröhlich-friedlich zugeht. Deutsche oder englische Urlauber mischen kaum mit bei den Trinkgelagen mit günstigen Supermarkt-Flaschengetränken. Bis hinauf zum Plaza Progrés wirkt das quirlige Treiben der Fábrica belebend. Die Folge: Im ehemals tristen Quartier boomt es kulinarisch. Bandaktuell eröffnete das in schneeweiß eingerichtete Restaurant “Léon Alberti”, in dem Köchin Berta Gomez ihren internationalen Gästen traditionell mallorquinische Köstlichkeiten, modern verfeinert serviert.
Der DJ legt deepe House-Tracks auf, die Gäste feiern und flirten
Den Beginn des Santa Catalina-Viertels markiert optisch markant die Bar “Cuba Colonial”. “Donnerstag ist der beste Partytag”, weiß der Kenner und verschwindet ins historische Gebäude im Kolonialstil. In engen, schwarzen Hemden gekleidet, servieren Kellner mallorquinisch-mediterrane Speisen im Restaurant, während sich unten im Club die Tanzfläche füllt. Auf lederbezogenen Polsterbänken plaudern deutsche Einwanderer mit einheimischen Freunden. Der DJ legt deepe House-Tracks auf, und die Gäste feiern und flirten bis zum Morgengrauen.
Party hält die Stammkundschaft und lockt neue hinzu
Tags darauf sitzt Pedro Vidal, einer der Gäste der langen Nacht zuvor, auf der sonnigen Terrasse der “Bar Nicolás” an der Plaza Mercat. Es ist Inhaber des mit moderner Kunst der Insel dekoriertem Modegeschäfts “Píel de Gallina”. Der dürre, hyperaktive Modeexperte hat seinen Store in der Nachbarschaft mit einem DJ-Pult ausgestattet – für die Party nach Geschäftsschluss: “Das hält die Stammkundschaft und lockt neue hinzu”, sagt Vidal. Die kaufen bei ihm ausgesuchte Vintage-Mode aus Mallorca und Casual-Designs aus den europäischen Metropolen: “Ich liebe Berlin”, gibt Vidal kund, greift zum Telefon und plappert wild drauf los; die Geschäfte rufen.
Paseo de Quint, mitten im modischen Schmelztiegel Palmas
Oberhalb der Treppenstufen am Paseo de Quint, mitten im modischen Schmelztiegel Palmas, wo man die sonst typischen Souvenirläden vergebens sucht, bastelt derweil Tony Jiménez an seinem Fahrrad herum. Ihm gehört der Modeladen “Addict”. Kommt Kundschaft, berät der blonde Hüne kompetent. Hemden, Hosen und Kleider skandinavischer Label, tragbar für die Clubnacht und den Alltag, dominieren das Sortiment. “Geld zu verdienen ist wichtig”, sagt der überdurchschnittlich große Spanier lächelnd, schraubt weiter an sein sehr teuer anmutendes Luxusmarken-Gefährt und betont: “Aber das Feiern nicht vergessen.”
Der herzlich freche Kellner trägt Vollbart und viel zu enge Jeans
Nach Feierabend trifft sich der Mode bewusste Jungunternehmer mit seinem Kollegen Vidal auf ein Glas Wein im “Flexas”. Es duftet nach spanischen Kroketten, doch ein Hauch Berliner Luft beherrscht die Atmosphäre. Der herzlich freche Kellner trägt Vollbart und viel zu enge Jeans. Das Interieur scheint wild aber geschmackvoll zusammengewürfelt und die Kunstausstellung “Silence is Sexy” protestiert still gegen spießige Neunachbarn. Die möchten zwar im angesagten Kiez aber paradoxerweise ohne Kneipenlärm wohnen.
Schnell wurde die Bar Flexas zum potenten Pionier
Lediglich als einfaches Tapas-Lokal für Lesben und Schwule eröffnetet, wurde die Kneipe schnell zum potenten Pionier. Denn viele weitere Bars folgten dem Trend-Lokal und machten das hinter der Einkaufsmeile Sindicat und San Miguel versteckte Sa Gerrería in den letzten Jahren zum Viertel mit hohem In-Faktor. Pedro Vidal, der Berlin so mag, dem gefällt die kauzige Atmosphäre im Flexas: “Wunderbar.” In der Nacht Nacht zieht es die munteren Klamottenverkäufer weiter: Sie möchten auf der Party “Hotel Tabu” feiern. Die Veranstaltungsreihe wird von einem DJ-Kollektiv der Balearen-Insel veranstaltet. Deep- und Techno-House sind ihr Metier, “Cultura Club Sala 2” heißt der Veranstaltungsort der Erfolgsparty von Pepe Arcade und seinem Team, zu finden auf dem Paseo Maritimo im Hafen- und Party-Viertel Palmas. Ganz in der Nähe zieht das “Garito Café” schicke Gäste mit House-Beats im stilsicherem Ambiente in seinen Bann.
Linksalternativ wirkende junge Männer in Sneakers und Kapuzenpullis
Die Bässe hämmern auch direkt nebenan im “Club Cassette”, wo linksalternativ wirkende junge Männer in Sneakers und Kapuzenpullis gemeinsam mit aufgedonnerten Jung-Damen in edlen High-Heels Party machen. Diese Szene spielt sich nur wenige Kilometer entfernt von Pauschaltouristen-Attraktionen wie dem “Tito’s” ab, und in einer völlig anderen Welt als die Partylokale der Platja de Palma am anderen Ende der Stadt. Vidal sagt: “Bierkönig, Mega-Park und Riu Palace kenne ich nicht. Damit hat das Publikum hier nichts gemein.” +++ Erstveröffentlichung in Münchner Abendzeitung, basierend auf der Recherche von Robert Niedermeier für den aktuellen Mallorca PRINZ Top Guide…. +++