Eigentlich hatte sich Berlin auf einen tollen Sommertag eingestellt. Ich auch. Das lesbisch-schwule Straßenfest rings um die Motzstraße in Schöneberg, noch ein Straßenfest am Mariannenplatz in Kreuzberg und das vielseitige Themen- und raumübergreifende Kunstprojekt “48 Stunden in Neukölln” mit Streetart-Projekten und mehr in meinem Kiez lockten zum Open air-Vergnügen. Draußen sein und Sonnenschein, Kultur erleben, Schönes sehen, Partyflair, Flanieren und zwischendurch was Futtern – wie schön.
Kunst, schwarz umrandet, wie Todesanzeigen
Doch Pustekuchen, das Wetter ist mäßig, warm ja, aber nass und gräulich. Gut, dass Kunst im Kiez auch bei Regenwetter etwas Farbe ins Trübe zaubert: In den Jazzraum meiner Nachbarn aus Montenegro reinschauen, etwas shoppen, je nach Wetterlage halt, aber auf jeden Fall einfach genießen. Doch schon wieder Pustekuchen, auf dem Weg zum Bankautomaten latsche ich über weiße Plakate, die auf dem Bordstein haften. Schwarz umrandet, wie altmodische Todesanzeigen, die man noch aus Tageszeitungen kennt. Erschrocken darüber, dass ich just in dem Moment der Wahrnehmung pietätlos auf meiner Entdeckung herrumtrampel, schreite ich fortan mit Obacht die lange Reihe der Namen von Selbstmördern entlang. Alles Neuköllner, die aus eigenem Entschluss den Tod suchten und fanden. “Wie erbaulich”, denk’ ich mir, schüttel’ den Kopf über diese brutale Form konsequenter Straßenkunst, versuche die Verachtung gegenüber Suizid zu unterdrücken, weil ich ja nicht weiß, was meine potentiellen Nachbarn zur Tat hat schreiten lassen. In Friedens- und Kriegsgzeiten, junge oder alte Frauen und Männer. Mitleid keimt auf, schnell abgelöst durch echte Bewunderung fürs mutige Kunstwerk auf regennassen grauem Pflasterstein. “Die Straße der Verlierer” hat Künstler Christian Casata seine Installation genannt. Im Rahmen des 48 Stunden-Mottos “Endstation Paradies”, gleich neben dem Friedhof auf der Hermannstraße, fiel sie mir ins Auge und hat mich so schön schaudernd schlucken lassen. Kunst, die nicht gefallen möchte, das gefällt mir sehr.