Meeresrauschen, mildes Klima, Menschenlachen verliert sich in der Brise, doch Urlaubsstimmung keimt kaum auf in Varosia. Am Rande der Hafenstadt Famagusta im Nordteil Zyperns blicken Touristen schaurig fasziniert auf die schweigende Skyline einer Geisterstadt. Große grün-gelbe Limonen hängen träge an den wild wuchernden Zitrusbäumen inmitten verwaister Gärten. „Es ist verboten sie zu pflücken, das Fotografieren auch“, warnt Fatih Bildircin und zeigt auf die bewaffneten UN-Soldaten auf den Dächern der maroden Hotelburgen. Bis zur türkischen Besetzung im Sommer 1974 ist das heutige Niemandsland ein pulsierendes Urlauberrefugium. Jetzt herrscht Agonie.
Homofeindlichkeit wurde importiert: Homophiles im “Gymnasium”
Fatih möchte weiter, der türkische Zypriote liebt seine antike Kupferinsel im östlichen Mittelmeer. Verständnis für die störrischen Konflikt-Parteien hat er nicht: „Es wäre eine Lüge zu behaupten, sie benehmen sich wie die Esel. Denn Esel sind sehr zutraulich und freundlich“, sagt der versierte Reiseleiter und verspricht seiner Gruppe deutscher Besucher, dass sie schon bald echte Langohren zu Gesicht bekämen. Zuvor geht es jedoch nach Salamis: Nach den tristen Eindrücken der verfallenen Hotelburgen von Varosia, öffnet sich nördlich von Famagusta ein malerisches Bild direkt am Sandstrand: Majestätisch ragen hier die Säulen der antiken Handelsstadt in den blauen Himmel. Bei den heute trockenen Thermen spricht der Familenvater Fatih freimutig über das homophile Treiben der damaligen Männergesellschaft. „Seit dem 8. Jahrhundert vor Christus erlebt die Hafenstadt ihre Blütezeit“, sagt Fatih, deutet am Portal zum antiken Wellnessbereich auf eine gut erhaltene Freske: „Schauen sie, wie der Jüngling die Versuchungen der Nymphe widersteht.“ In der Tat: Mit einer eindeutigen Handbewegung weist er die Halbnackte zurück. Auch im Alltag war Frauen der Zugang zum „Gymnasium“ untersagt. „Homo- oder Bisexualität war damals etwas völlig Normales“, klärt der Kenner auf.
Doppelmoral, Verfolgung und Besserung: Ein Versprechen
Doch Zeiten ändern sich. Unter der Kolonialherrschaft der Briten wurden, wie im gesamten Orient, Gesetze gegen „Unzucht“ eingeführt. Explizit ist es Männern laut Paragraph 171 nach wie vor verboten sich der gleichgeschlechtlichen Liebe hinzugeben. Der griechische Zyprer Michalis Sarris bekam das im Oktober 2011 zu spüren. Die Polizei verhaftete den 65-jährigen Politiker im Haus eines Freundes, nur weil er sich von einem 29-Jährigen massieren ließ. Nach mehreren Tagen kam der Grieche auf Kaution frei. Sarris’ vermeintlicher Sexpartner und sein 17 Jahre junger Begleiter mussten sogar Misshandlungen erdulden. „Sozial hat das Verbot keinerlei negativen Einfluss auf das Leben von LGBT-Personen“, wiegelt hingegen Osman Ertug in Girne ab. Sein Land sei demnach lediglich hochformell homophob, erklärt der überaus charmante Sprecher des Präsidenten genau ein Jahr vor der Verhaftung des südzyprischen Politikers Sarris. Ertug schiebt die Schuld auf die Moralvorstellungen der Engländer ab, die schließlich erst die Anti-Homogesetze einführten und gerät ins Plaudern: „Dabei haben es die englischen Soldaten in ihrer Kronkolonie wild getrieben.“ Bis 1960 herrscht das britische Königshaus über ganz Zypern und die in Rosa von Praunheims Film so lebhaft porträtierte „Schwulenmutti“ Lotti Huber betreibt unten im Hafen von Girne ihre Bar Octopus. Ein schillerndes Lokal, wo die Offiziere sich mit ausgewählten jungen Zyprioten trafen. „Heute ist dort das Restaurant To Limani beherbergt“, erzählt der etwas verhuscht wirkende Präsidentensprecher. Nach einigen Zivania-Gläsern bedauert er, dass es heutzutage nur noch wenige Treffpunkte für Männer gebe, die auf Männer stehen. Im Verlauf des ausgiebigen Dinners im Archway Restaurant verspricht er zudem: „Noch 2011 wird über die Abschaffung des schwulenfeindlichen Gesetztes verhandelt.“
Tatsächlich: Nach dem „Massage-Skandal“ von Nicosia kommt im Dezember 2011 endlich Bewegung ins böse Spiel: Ertugs Arbeitgeber, Präsident Dervis Eroglu, versichert in einem Brief an die britische EU-Parlamentarierin Marina Yannakoudakis, nun endlich den Strafrechtsparagrafen 171 abschaffen zu wollen. Ob das in die Tat umgesetzt wird, bleibt abzuwarten: „Esel sind störrisch“, merkt Reiseleiter Fatih lakonisch an.
Nachtrag: In der Tat, erst 2014, nach langen, anscheinend sehr zähen Verhandlungen, ist das Anti-Homo-Gesetz auch in Nordzypern gekippt worden. Osman Ertug hat Wort gehalten.