Keine Ferien im Faschismus: Russland verschwindet von touristischer Reise-Landkarte

Keine Ferien im Faschismus

Ich revidiere am 09.08.2013 meine Meinung. Ein Reiseboykott-Aufruf ist womöglich nicht besser als die aktuellen Sportboykott-Kampagnen. Eine nette Urlaubsreise, unbeschwerte Ferien im Faschismus, halte ich fürderhin für moralisch nicht für tragbar. Doch der Austausch mit Menschen, ein Fenster in die freie Welt offen zu halten, überwiegen in ihrer Wirkung um ein Vielfaches jede ablehnende Verweigerungshaltung. Politisch Druck zu machen, kann nicht bedeuten, den Kontakt abzubrechen. Das beklagte Gesetz behindert zweifelsfrei die Öffentlichkeitsarbeit, nach wie vor existieren jedoch LGBT-Gruppen, und selbstverständlich wird kein Politiker oder sonstiger Bürger verhaftet, weil er sich mit Verantwortlichen und Betroffenen unterhält. Wie an anderer Stelle bereits formuliert, dummes Zeugs zu erzählen, die Fakten zu verfälschen und auf dieser Basis zu debattieren oder gar zu helfen, ist kontraproduktiv. Ebenso Kahrs, der sich eher an seine konservativ-schwulen Klientel mit einem populistischen “Vorschlag” anbiedert, als sich tatsächlich um die Belange linksalternativer LGBT-Aktivisten in Russland zu bemühen. Das, was in Russland passiert ist schrecklich ist, das weiß ich selbst. Deshalb sollte das ganze Thema ebenso wenig für Wahlkampfzwecken weder für das Schüren antirussischer Ressentiments missbraucht werden. Und noch einmal: Die Spiele in Russland sind eine Gelegenheit Aktionen, Proteste und Informationsarbeit voranzutreiben. Ein Boykott würde ein Zeichen setzen – okay und dann?

 Update 23.08. via Queer.de  19h: Putin verbietet Proteste

Ben Ivory “Russians” (Cover, Sting) from ENOUGH is ENOUGH! – Berlin-Demo on Vimeo.

Russland verschwindet von touristischer Reise-Landkarte

Ilga Rainbowmap, Minuspunkte für Russland:Martin Schulz, President of the European Parliament: “Mapping, monitoring and analysing homophobia is one of the best ways to expose it and fight it. The 2013 edition of the Annual Review of the Human Rights Situation of LGBTI People and the Rainbow Europe Map are two powerful instruments in this struggle. Members of the European Parliament will continue to use and support the good work of ILGA Europe in achieving a Europe free from prejudice and discrimination.”

Russland: Roter Fleck auf Reisekarte

(Updates s.u.) Seit heute ist es amtlich: Russlands Obrigkeit outet sich als faschistisch. Die russische Duma beschließt in dritter Lesung fast einstimmig das landesweite Gesetz gegen “Homo-Propaganda”. Damit wird einer Bevölkerungsgruppe pauschal das Recht aberkannt, sich öffentlich zu artikulieren. Auf seinem Blog beschreibt Journalist Rainer Hörmann die Lage in Russland als “die Vorstufe (…) zum Versuch, diese Gruppe auch physisch auszulöschen.”  In der Tat: Seit dem 11.Juni 2013 ist Russland vollends dem Putin-Faschismus anheim gefallen. Das explizit gegen LGBTs gerichtete Gesetz ist nicht nur ein Verbrechen gegen das hohe Gut der Meinungsfreiheit, sondern ein böswilliger Angriff auf das Menschenrecht. Nicht allein Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans* (LSBT) sind vom Putin-Faschismus betroffen. Putin, der sich zum “Führer der Volksfront” ernannt hat, drangsaliert Querdenker, Intellektuelle, Kulturschaffende und Wissenschaftler. Viele wandern aus, entfliehen den Repressalien. Kofferstimmung macht sich breit. Umgekehrt ist Russland eine Reise nicht mehr wert. Für Schwule, Lesben und Transgender stellt ein Moskau- oder Sankt Petersburg-Trip sogar eine direkte Gefahr dar. Ein dunkler Schatten legt sich auch über lesbisch-schwule Teilnehmer der Olympischen Spiele 2014 in Sotschi. Denn wer sich als Homo zu erkennen gibt oder als Trans* “auffällt”, muss aufgrund der fortgesetzten Hetze von Seiten des faschistoiden Regimes mit Strafen oder Haft rechnen. Der aufgehetzte Mob reagiert indes mit Beschimpfungen und  tätlichen Übergriffen. Die Atommacht Russland driftet zurück ins Mittelalter.

Reise-Boykott-Aufruf: Keine Ferien im Faschismus

 

Screenshot: http://www.spiegel.de/fotostrecke/proteste-gegen-anti-schwulen-gesetz-in-moskau-fotostrecke-97833-4.html

Screenshot: http://www.spiegel.de/fotostrecke/proteste-gegen-anti-schwulen-gesetz-in-moskau-fotostrecke-97833-4.html

Russland verschwindet zumindest für mich von der touristischen Landkarte.  Das wirksame an Tourismus-Boykotte ist der Imageschaden, der damit einhergeht, weil es darum geht, symbolische Zeichen gegen einen Unrechtsstaat zu setzen. Ein Gas-Lieferungsstopp ist weniger wirksam, da kaum durchsetzbar. Jeder Einzelne ist in der Lage, Freunde, Verwandte, Arbeits- und Vereinskollegen zu überzeugen, auf einen Russland-Urlaub zu verzichten. Wer dort hinreist, um Verwandte oder Freunde zu besuchen, vor Ort unterstützen und helfen möchte, dem bleibt keine Wahl. Doch Touristen sollten aus Solidarität mit russischen LGBT/LSBTs und allen freiheitlich-demokratisch gesinnten Menschen auf einen Russland-Urlaub und Ferien im real existierenden Faschismus verzichten. Es muss wieder besser werden in Russland. Bis dahin: “Net fashizmu!”

Update: 09.08. – 23.08.2013

BRD-Asyl statt Boykott

Russische LGBT-Aktivisten: Olympischen Spiele als Chance

 Update 23.08. via Queer.de  19h: Putin verbietet Proteste

Fahrt nach Russland, macht Mut, begegnet euch – russische LGBT-Aktivisten sprechen sich vehement gegen Boykott aus. Ich persönliche warne indes vor russenfeindliche Tendenzen! 66 deutsche Sportler nehmen an der Leitathletik-WM in Moskau teil, Heute (ZDF) nennt indes die Übergriffe auf und Gesetze gegen LGBTs nonchalant “Anfeindungen”. Die Olympischen Spiele sind eine gute Gelegenheit die Vorkommnisse in Russland deutlich beim Namen zu nennen. Was dazu folgen könnte, das den LGBTs und alle anderen vom Putin-Faschismus betroffenen Hilfe und verstärkt Unterstützung zuteil wird. Wichtiger als Boykotte wäre zudem, russischen Verfolgten endlich Asyl zu gewähren. Dieses plumpe durchs Ausgrenzen erziehen zu wollen, ist nicht besonders hilfreich. Insbesondere, wenn es um Sport oder gar Musikereignisse geht. Diese Events sind wie auch die Olympischen Winterspiele in Sotschi, waren und bleiben oftmals als kleines Fenster hinaus in die “freie Welt” übrig. Ja, auch Hitlers Olympia-Spiele 36 brachte so etwas wie eine Pause vom Grauen ein, für die von deutschen Nazi-Schergen verfolgten Menschen. Achtsam bleiben, direkte Hilfe und solidarische Unterstützung sind geboten. Möchte hiermit deshalb auch Abstand von meiner Aufforderung nehmen, eine Urlaubsreise gen Russland zu vermeiden. Ich revidiere am 09.08.2013 meine Meinung. Ein Reiseboykott-Aufruf ist womöglich nicht besser als die aktuellen Sportboykott-Kampagnen. Eine nette Urlaubsreise, unbeschwerte Ferien im Faschismus, halte ich fürderhin für moralisch nicht für tragbar. Doch der Austausch mit Menschen, ein Fenster in die freie Welt offen zu halten, überwiegen in ihrer Wirkung um ein Vielfaches jede ablehnende Verweigerungshaltung. Politisch Druck zu machen, kann nicht bedeuten, den Kontakt abzubrechen. Das beklagte Gesetz behindert zweifelsfrei die Öffentlichkeitsarbeit, nach wie vor existieren jedoch LGBT-Gruppen, und selbstverständlich wird kein Politiker oder sonstiger Bürger verhaftet, weil er sich mit Verantwortlichen und Betroffenen unterhält. Wie an anderer Stelle bereits formuliert, dummes Zeugs zu erzählen, die Fakten zu verfälschen und auf dieser Basis zu debattieren oder gar zu helfen, ist kontraproduktiv. Ebenso Kahrs, der sich eher an seine konservativ-schwulen Klientel mit einem populistischen “Vorschlag” anbiedert, als sich tatsächlich um die Belange linksalternativer LGBT-Aktivisten in Russland zu bemühen. Das, was in Russland passiert ist schrecklich ist, das weiß ich selbst. Deshalb sollte das ganze Thema ebenso wenig für Wahlkampfzwecken weder für das Schüren antirussischer Ressentiments missbraucht werden. Und noch einmal: Die Spiele in Russland sind eine Gelegenheit Aktionen, Proteste und Informationsarbeit voranzutreiben. Ein Boykott würde ein Zeichen setzen – okay und dann?
Helfen kann Aufklärung, diplomatische Sanktionen, Asyl für LGBT-Flüchtlinge in Deutschland und und und… Boykott-Androhung ist ne Möglichkeit, aber bei weitem nicht die Beste. Wie gesagt, schließe mich lieber der plausibel begründeten Meinung von russischen LGBTs als dem unlogischen Plappern von populistischen Deutschen an, die oft bislang nicht selbst einen Fuß auf russischen Boden gesetzt haben. Hinzuzufügen ist, dass die Olympischen Spiele der Völkerverständigung dienen sollen. Sie sind nicht als völkererziehende Maßnahme erdacht worden.
Deshalb bleiben jenseits eines Totalboykotts, viele Möglichkeiten des Protestes: Etwa den Sponsoren auf den Zahn zu fühlen, um dadurch die Aufmerksamkeit auf die Probleme von russischen LGBTs zu lenken. Die Gesetze können nur in Russland abgeschafft werden. Dazu bedarf es aber den Rückhalt der Bevölkerung. Mit antirussischen Plattitüden erreicht man nichts. Russland hat es nicht einmal nötig auf den Westen zu hören. Mit einem Boykott verhärtete man die Fronten lediglich. Hella von Sinnen beispielsweise sollte sich mal lieber dafür einsetzen, dass die BRD russischen und Bürgern anderer Verfolger-Staaten Asyl gewähren. Die kennt doch die Damen und Herren der hier in Deutschland regierenden CDU persönlich.

Interessant, dass sich der schwule russische Aktivist Igor im ARD-Interview eindeutig gegen ein Olympia-Boykott ausspricht. Unverständlich, dass so viele Deutsche auf einen Boykott oder gar Verlegung der Spiele beharren, obwohl die von Verfolgung betroffenen LGBTs sich gegen einen Boykott aussprechen. Gut, das auch Außenminister Westerwelle sich gegen ein Boykott ausspricht, auf Unterstützung statt populistischen Kampagnen-Alarmismus setzt.  Scheint so, als hätte er russischen LGBTs zugehört./  Update 23.08. via Queer.de  19h: Putin verbietet Proteste: Putin möchte die Eskalation, bleibt ein Boykott die einzige Möglichkeit des Protests? Harte Zeiten für russische LGBTs…

Update (06.08.2013, 22.45 Uhr) 

Tod des Teenagers – nur ein Gerücht?

“Gibt es nach der Übersetzung ins Deutsche, neue Fakten, die den kolportierten Todesfall tatsächlich bestätigen, weißt du Neues, Norbert?”, habe ich am Dienstagabend Queer-Redakteur Blech via facebook gefragt. Nicht grundlos, denn als ich den Link am 3. August erschrocken twitterte und auf Facebook weiter verbreitet habe, wies er mich darauf hin, dass die “Quelle” kein Zeuge sei, die Meldung also lediglich auf eine wage Annahme beruhe. Der englische Text wurde indes von bislang einem deutschsprachigen LGBT-Medium übernommen. Eine Menge Personen und Seiten in meiner Facebook-Liste haben heute das Gerücht verbreitet, dass “unter den Augen der Welt und auf Putins Geheiß ein Teenagers zu Tode gefoltert” worden sei. Sorgfältiger geht Journalist Norbert Blech an die Sache heran: “Ich bin weiter dran und kann ihn (den Tod des Teenagers) nicht bestätigen”, antwortet der versierte Rechercheur.

Schreckensmeldung als Kampagnen-Vehikel der Guten

Deshalb, liebe Leute: Mehrmals abzuschreiben und die selben “Quellen” zu übernehmen, macht eine Nachricht nicht faktenreicher. ‘Es wird vermutet, dass der auf dem Bild gezeigte Teenager, gestorben sein könnte…’, käme der ohnehin traurigen Realität näher. Aber das wäre ja keine Meldung? ;-/ Gut, dass das Gesicht des Teenagers mittlerweile unkenntlich gemacht wird. Ansonsten, hoffentlich stellt sich heraus, dass er noch lebt. Der “Beweis” für sein Ableben steht bislang jedenfalls aus. Denke, sonst hätten auch tagesschau.de und auch queer.de das längst “gebracht”. Patrick Gensing (u.a. tagesschau.de) drückt sich  gleichfalls vorsichtig aus . “Ist trotzdem schrecklich”, schreibt vorhin Knuddle auf meinen Einwand. “Na klar,”, erwiderte ich, “aber das hat nichts damit zu tun, dass es sich bei der angeblichen Todes-Meldung bislang um keine Nachricht handelt, sondern um ein schreckliches Gerücht.” Eine Meldung zu lancieren, als Vehikel, um im Rahmen einer Kampagne für das Gute, die zweifelsohne angebrachte Empörung weiter anzufachen, das wäre Missbrauch. Nicht allein im journalistischen Sinne, sondern auch gegenüber dem Menschen über den wir spekulieren. Am Mittwoch berichtet Queer.de ausführlich über die Falschmeldung, die u.a. von David Berger (Chefredakteur Männer) in Sozialen Netzwerken verbreitet wird.

Faschos versus Faschos: Auf dem Rücken der Unterdrückten

Vorsitzende Thomas Mosmann ein bekennender "NPD-Sympathisant"

Vorsitzender einer rechtsextremen Homo-Partei

Kommentar: Wird Zeit, dass dieser fragwürdigen Organisation, welche die Falschmeldung verbreitet, auf den Zahn gefühlt wird. Finde, solche rein auf Kampagne ausgerichtete Schreckensmeldungen stützen nicht den Widerstand gegen den Putin-Faschismus, sondern schwächen ihn. Gegen Hetze hilft Hetze nicht, Feuer mit Feuer bekämpfen, das funktioniert nur im sommertrockenen Wald. Aufklärung und der Dialog mit echten Menschenrechtlern ist angebracht. Andererseits scheinen viele im Rausch der Empörung den Verstand zu verlieren. Das einige SoMe-User derzeit auf dem russischen Facebook-Pendant VK gegen Faschos trollen, ist noch recht cool, aber was für Töne sich in der Anti-Putin-Kampagne mischen, stößt mich ab. Und wenn dass jetzt in die Richtung “Kein Sex mit Russen” geht, bin ich garantiert nicht mehr mit von der Partie. Nicht alles, was pro Gay daherkommt, ist auch immer gut. So bahnt sich unterm Deckmantel freiheitlicher Parolen etwa auch Islam- und Fremdenfeindlichkeit seinen Weg mittenmang in die “Community”. So reiht sich auch eine rechtspopulistische Minipartei mit ihrem neonaziaffinen Vorsitzenden Thomas Mosmann in die neue Anti-Russen-Front ein. Anstatt sich für die Menschenrechte von russischen LGBTs einzusetzen, nutzen rechtsextreme Hitzköpfe, die durch Falschbehauptungen aufgeheizte Empörung im konservativen Spießer-Schwulen-Lager als Vehikel für ihre Rattenfänger-Methoden und Hetze gegen das “Ausland”, nutzen die antirussischen Ressentiments schamlos aus, die unter (schwulen) Deutschen leider ohnehin verbreitet sind. Doch: Auf russenfeindliche Sprüche und pauschalierenden Herabwürdigungen habe ich jedenfalls keinen Bock.

Update (06.08.2013): Jagd auf Schwule, Reisewarnung, tagesschau.de berichtet – endlich!

Update (26.07.2013): Faschisten fordern zur Hetzjagd gegen schwule Teenager auf, russische Wodka-Marke solidarisiert sich mit der LGBT-Community.

Update (23.07.2013): Gesetz gegen “Homo-Propaganda” wird exekutiert: Niederländer verhaftet! Petition gegen Sotchi-Sponsoring.

Update (15.07.2013): Protest formiert sich gegen die Städtepartnerschaft Berlins mit Moskau. Reise wurde abgesagt. Mehr Infos zur Petition mit Hintergründen auf Queer.de hier 

Update, 12.07.2013: Putin droht Touristen mit Arrest im Knast: http://www.travelandescape.ca/2013/07/russia-says-it-will-arrest-openly-gay-tourists/

Update via Queer.de: “Sotschi-Boykott gefordert: In einem offenen Brief haben derweil mehrere russische LGBT-Verbände die deutsche Regierung aufgefordert, “alle Möglichkeiten diplomatischer Verhandlungen und wirtschaftlicher Zusammenarbeit zu nutzen”, um “eine Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität bzw. eines anderen Merkmals zu unterbinden” (Queer.de, 18.06.2013). Hintergrund: Die russische Duma erließ ein weiteres explizit homo- sowie fremdenfeindliches Gesetz.” (Zitat: Queer.de)

I’ve Only Just Begun – the short music film from Elias Koskimies on Vimeo.

BEN IVORY – THE RIGHTEOUS ONES from Papercut Film on Vimeo.

 

About Reiserobby

Robert Niedermeier, Journalist (Reise, Lebensart (Food), Gesellschaft)
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