So schlimm sind die Grünen eigentlich gar nicht, dünkte es mir noch beim Einkauf in der Neuköllner BioCompany an der Gourmetmeile Hermannstraße als wieder einmal eine terroristische Attacke eines psychiatrisch gestörten mutmaßlichen Islamisten ausgeblieben ist. Beim Blick ins Internet (dort schwellt die Sicherheitsdebatte wie ein überdimensionierter Penis bedrohlich an) kam mir erneut der Gedanke: Zeit, endlich mal rigoros und nachhaltig grüne Saiten aufzuziehen. Die extremistische und reaktionäre Kakophonie von christlichen Bildungsplangegnern, islamistischen Kulturpessimisten und völkisch-nationalistischen Rassisten geht mir nämlich gewaltig auf die Nerven. Künftig wähle ich wieder grün, weil jeder einzelne Mulikulti-Verteidiger gescheiter als zehn Chauvis ist. (UpDate März 2018: Meine Heimat ist, wo Seehofer, Dobrindt und Weidel sich fremd fühlen: BRD.) Religiöse Fundamentalisten sind rechtsextrem und Rechtspopulisten teilen sich mit Islamisten den selben radikalen Groll auf die offene, freie, vielfältige und säkulare Gesellschaft. Doch pseudolinke Wagenknechts und scheinliberale Weimers vereinen sich zusammen mit islamistischen Ulusoys im schrillen Chor der Reaktion. Widerspruch tut Not. Eine völkische, kulturchauvinistische Querfront aus sexistisch-rassistischen IS-Terrorprofiteuren probt den Aufstand gegen Multikulti, Gendergerechtigkeit, den Sozialstaat und die soziale Marktwirtschaft.
Propaganda-Wording der Querfront nimmt dreist im linken Milieu Platz
Eine antidemokratische Querfront ist keine Erfindung linksfeindlicher Neocons zur Spaltung der Linken. Die reaktionäre Querfront ist existent und spaltet konkret. Neurechte, rassistische, antisemitische und antiemanzipatorische Einzeltäter formieren sich gemeinsam mit pseudo-linken Aktivisten zu organisierten Netzwerken. Reaktionäre Inhalte transportieren Querfrontler in links-alternativ getünschten Vokabalur-Vehikeln und verwickeln Menschenrechtler in aberwitzige Propaganda-Scharmützel. In der Friedenspolitik, beim Thema Globalisierung und Gentrifizierung, der Umweltpolitik und in der Debatte um mehr direkte Demokratie übenehmen reaktionäre, antidemokratische, rassistische und sexistische Polit-Hasardeure zunehmend die (gefühlte?) Meinungsführerschaft. Rechtspopulisten und Querfront-Mittäter tragen ihr Propaganda-Wording bis weit in strukturell liberale, alternative und linke Millieus hinein. Die Folge: Selbsternannte Frauenschützer kreuchen aus Rassisten-Biotope und agitieren im virtuellem Raum mit Vergewaltigungsfantasien gegen emanzipatorische Linke, fundamentalistische Religiöse frotzeln gegen liberale oder queere, indes homophile Rassisten gegen alle Muslime stänkern. Mancher gar bestückt mit Mobbing-Skills made in Italy (Vatikan). Ein Kulturkampf von rechts gegen die offene Gesellschaft ist ausgebrochen. Halleluja.
Querfront ist, wenn Fundis von Sichtbarkeit und Vielfalt faseln…
Die Reaktion gegen die Moderne stützt sich auf rückständige Krücken. Überkommen geglaubte Herrschaftsvorstellungen, die Verherrlichung feudaler Nostalgie und Herorisierung kasernierter Männerbünde, Geschlechtergrenzen und Schlagbäume und Denmokratieverachtung: Der reaktionäre Querfront-Propagandaschwall scheut sich nicht, linkes Vokabular zur Kodierung plumper Nazi-Parolen zu missbrauchen. Antiimperialismus und Anti-Kapitalismus trägt der gemeine Antisemit und Elsässer-Jünger gern in fadenscheinigen Hassportal-Predigten wie eine Monstranz vor sich her, um völkisch-nationalistisch verbrämt gegen Einwanderer und “grüne Volksvernichter” zu hetzen. Ein AfD-Höcke kramt tief in der nationalsozialistischen Mottenkiste des “Volksvermögens”, um für eine “neue Sozialpolitik” – nur für Deutsche – zu werben. Querfront-Strategien funktionieren aber auch im Berliner Multikulti-Kiez Neukölln. Etwa, wenn die prominente Kopftuch-Apologetin Betül Ulusoy das Berliner Neutralitätsgesetz mit links klingenden Worthülsen als rassistisch verunglimpft, gar im queeren Sprech über “Sichtbarkeit” und “gelebte Viefalt” faselt. Obzwar die religiöse Fundamentalistin sich im dogmatisch forderndem Übereifer noch gestrenger im Kopftuchstreit geriert als der Koran itself es in Sachen Verschleierungsgebot abverlangte. Darauf ein dreifaches Aloha für die AKP begeisterte Erdogan-Claqueurin.
Querfront profiliert sich: Jeder braune Furz wird weitergewedelt
Auf diesem sehr großen Haufen reaktionärer Ka**schei**e flirtet nicht nur der alte Haudegen und Sachbuch-Millionär Thilo Sarrazin (SPD) erfolgreich mit “biodeutschen” Sesselnazis. Köpenicks Local Hero Tom “Sheriff” Schreiber (SPD) punktet beim Besorgte Bürger-Anbaggern mit dem spezialdemokratisch verdünnten NPD-Dauerbrenner “Ausländerkriminalität”. Sicherheit und Ordnung versprechen, auf Image-Kosten der Minoritäten (Migranten, Homosexuelle, Juden) im Land. Das Traditions-Rezept rechter Hardliner ist so schlicht wie einfach als bräunlicher Eintopf aufgetischt. Methodisch denunzieren, “Ängste” schüren, und dann verkappte Ausländerfeindlichkeit und unverhohlen herabwürdigend herausgekotzte Ressentiments für eine scheinheilige Sicherheitsdebatte instrumentalisieren. Konstruktive politische Gestaltung wirkte als probates Abführmittel gegen den zunehmend rasanten Rechtsruck. Eigentlich logisch. Doch statt AfD- und CSU-Anheizern den hingefurzten Wind aus den Segeln zu nehmen, wedeln konkurrierende pseudolinksreaktionäre Quasselstrippen den Gestank weiter und schlagen tüchtig die Werbetrommel für einen brandgefährlichen Neo-Chauvinismus.
Altmodisches Ping Pong-Spiel der reziproken Radikalisierung
Ein Seehofer und eine Wagenknecht profilieren sich auf den Schultern der Schwächsten in der selben Schmutzlache. Deutschtümelei ist die Kulisse für die abgeschmackte Konkurrenten-Performance im Flüchtlingszwist. Und weiland IS-Fanatiker die westlichen Gesellschaften terrorisieren, trollen rassistisch krakeelende Rechtspopulisten den Rechtsstaat. Mit Hilfe des Terrors ist es durchaus denkbar, die Demokratie in gegenseitiger Wechselwirkung zu schleifen. Vermeintliche Gegner ziehen im Spiel der Eskalation am selben Strang. Maximale Provokation folgt im sich rasch beschleunigenden Ping Pong-Game der Aggressoren auf Überreaktion. Das unheilvolle Zusammenspiel der Radikalen funktioniert, da sich weltanschaulich vordergründig spinnefeind gegenüberstehende Akteure einen ähnlich autoritär-konservativen Markenkern mit chauvinistischen Schnittstellen teilen. Den Problemen auf dem Grund gehen die faschistoiden Demagogen (Islamisten und Rechtspopulisten) nicht. Warum auch? Krisensituationen evozieren Angst, und Furcht ist das gemeinsame Futter der Rechtspopulisten, Putinisten und Fundamentalisten, die man in Fragen der Sicherheit altmodisch Falken nennt. Destabiliserung ist das Ziel. Die Priming-Opfer dieser real-existierenden Daily Soap antizipieren das medial ins Bombastische aufgeblähte Gebell mit ins Internet gekritzelten Bürgerkriegsszenarien, Selbstjustizankündigungen und racherfüllten Totalausfällen von ignoranten Wutbürgern auf Endgegner-Hatz: Horrido, Halali und Hurra.
Wer nicht provoziert, wird übertönt: Feinde drängen sich als Freunde auf
Kollektive Anstrengungen zur Konfliktlösung und damit einhergehender Verbesserung der gesellschaftlichen Situation werden durch die voranschreitende Polarisierung der Debattenkultur faktisch verunmöglicht. Ausgrenzung durch verbale Gewalt und die moralinsaure Emotionalisierung politischer Sachthemen ist argumentativ nicht zu verhindern. Erzkonservative, politisch Religiöse und soldatische Law & Order-Terror-Profiteure nutzen das aus, parieren Kritik mit Vorwürfen und Pinocchio-Politiker wie Frauke Petry reüssieren bei ihrem geneigtem Publikum in routinierter Opfer-Mimikry. Meinungsfreiheit und so… Aufklärung bleibt im Propaganda-Krieg der verbalen Amokläufer auf der Strecke. Wer nicht provoziert, wird übertönt, wer das Sexualstrafrecht liberalisieren möchte, wird als Pädokrimineller beschimpft, wer sich fürs Existenzrecht Israels auspricht, als Kindermörder verunglimpft, wer die Religionsfreiheit verteidigt, als homophob gebrandmarkt und wer Flüchtlinge willkommen heißt, wird von Demokratieverächtern zum Vaterlandsverräter erklärt. Kritiker werden zu Feinden, und die wahren Feinde der Demokratie drängen sich als falsche Freunde penetrant auf. Im neoliberalen Verteilungskampf bietet auch linksidentitäre Politik (Gay, Critical Whiteness etc.) eine offene Flanke für reaktionäre und chauvinistische Infiltrierung. So lassen es sich AfD-Protofaschos nicht nehmen im Homosexuellen-Kiez am Nollendorfplatz schwul beflaggt (false flag) fremdenfeindlich angetrieben gegen Muslime zu ätzen. Vormals liberale Journalisten verteidigen in Talkshows plötzlich die Freiheit mit Totalitarismus und entgleister Polizeistaat-Rethorik gegen “Gutmenschen”. Selbst Parteilinke wirken auf dem rechten Auge erblindet, stützen Putinisten, Hamas-Glorifizierer und Verschleierungsbefürworterinnen, andere erklären sich zu “Nationalkommunisten” und schwadronieren militaristische Parolen. Das ist verrückt.
Progressive Querfront wider der Reaktion tut Not
Darum ist es Zeit, eine soziale, emanzipatorische und progressive Querfront wider der Reaktion in Gesellschaft, Politik und Religion zu formieren. Wir Demokraten sind der Staat. Und aufgrund der schlimmen Entwicklung bei den Piraten (holen eine Russia Today-Propaganda-Karrieristin ins Wahlkampfboot) und den Linken (Attackieren im reaktionären AKP-Wording in Berlin das Neutralitätsgesetz), bin ich zur Erkenntnis gelangt, dass Bündnis 90/ Die Grünen, trotz manifestierter Defizite wie Boris Palmer, den richtigen, da vernunftorientierten, humanistischen und somit unterstützenswerten politischen Weg beschreiten. Eine demokratiebefürwortende freiheitliche neu zu formierende Querfront ist von Nöten: Gebildet aus moderaten CDU-Ressourcen, sozial-liberalen FDP-Ideen und SPD-Inhalten, zusammen mit dem basis-demokratisch motivierten, bürgerlich-alternativen Fortschrittsgedanken der Grünen böte sich die Chance, Probleme einzuräumen, um eine wehrhafte, freiheitliche Demokratie friedlich auszugestalten. Besonnenheit kann die hochgekochte Sicherheitsdebatte in der aktuellen politischen Situation gut gebrauchen. Ziehen wir gemeinsam eine rote Linie zum reaktionären, antisozialen braunen Rand. Multikulti ist gescheiter…
2 Responses to Multikulti ist gescheiter. Wider der Reaktion in Gesellschaft, Politik und Religion